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Vorfällen Wunder zeigen, wie viel die demonstrative Sittenlehre über die Neigungen und Leidenschaften vermag. Hat er es aber an übung fehlen lassen, so folgen die Begriffe, die zu seinem moralischen Schlusse erfordert werden, nicht schnell genug auf einander, wodurch ihre Wirksamkeit in den Willen merklich vers ringert wird.

c) So wie der Künstler die ihm vorgeschriebenen Regeln so oft ausüben muß, bis er sich in währender Ausübung der Regeln nicht mehr bewußt ist; eben so muß es der moralische Mensch mit dem Geseße der Natur machen, wenn er seine untern Seelenkräfte mit den obern in Harmonie bringen will.

Von der anschauenden Erkenntniß.

§. 8.

Wenn wir die symbolischen Schlüsse der practischen Sittenlehre in eine anschauende Erkenntniß verwandeln, d. h. wenn wir sie von den abstracten Begriffen auf einzelne Begebenheiten in der Natur zurückführen und die Anwendung derselben aufmerksam_beobachten, so erlangen sie dadurch eine größere Gewalt, in den Willen zu wirken.

a) In der Anwendung der allgemeinen Schlüsse auf besondere Fälle übersehen wir alle Theile und Folgen dieser Schlüffe auf einmal, die wir in der Theorie nur nach und nach überdenken können; wir vermindern also die Zeit, wodurch die Wirksamkeit vermehrt wird (§. 2.).

b) Die anschauende Erkenntniß erlangen wir: 1) durch die Erfahrung, d. i. wenn wir die symbolische Erkenntniß in besondern Fällen selbst angewendet oder von Andern haben anwenden fehen; 2) durch Beispiele, oder wenn uns die Anwendung der allgemeinen Lehren auf gewisse wahrhafte Begebenheiten aus der Geschichte gezeigt wird; und endlich durch Erdichtungen, die dfters bessere Wirkungen thun können, als die Beispiele, weil sie 1) durch die Nachahmung angenehmer werden, und 2) wahrscheinlicher, und nicht so sehr mit fremden Begebenheiten untermischt seyn müssen, als die wahrhaften Begebenheiten in der Natur.

§. 9.

Wer die symbolische Erkenntniß von dem Werthe der Tugend mit der anschauenden Erkenntniß verbindet, der hat seine untern Seelenkräfte mit den obern übereinstimmend gemacht, und ist vollkommen tugendhaft.

a) Wer sich mit der symbolischen Erkenntniß begnügt, der wird sich entschließen, tugendhaft zu seyn; allein sein Entschluß erreicht seine Wirkung nicht, wenn sich ihm eine sinnliche Lust widersett, deren Quantität größer ist, als die Quantität der fym: bolischen Erkenntniß.

b) Die bloße anschauende Erkenntniß giebt erstlich nicht die völlige Gewißheit, die den Tugendhaften tenacem propositi macht; zweitens ist sie trüglich, weil unsere Urtheilskraft leicht verführt werden kann, wenn sie sich mit Exempeln ohne Beweis begnügt; drittens kömmt sie nicht so leicht in das Gedächtniß zurück, wenn ihr Gegenstand abwesend ist, und vielmehr das Object einer finnlichen Lust, eines Scheinguts auf die Sinne wirkt.

c) Die symbolische Erkenntniß kommt bei jedem Vorfalle leichter in das Gedächtniß zurück, und giebt unserm Urtheile den Charakter der Untrüglichkeit; die Einbildungskraft erinnert uns der öfters damit verknüpften intuitiven Erkenntniß, und diese vermehrt die Quantität der Motiven.

§. 10.

Die fittliche Empfindlichkeit besteht in einer schnellen Vorstellung des wahren oder scheinbaren Guten, das in einem Gegenstande anzutreffen ist.

a) Sie ist also, ohne Hülfe der Urtheilskraft, gegen tugendhafte und lasterhafte Neigung gleichgültig.

b) Wer die Empfindlichkeit eines Menschen vermehrt, hat ihn dadurch noch nicht tugendhaft gemacht, wenn er nicht zugleich seine Urtheilskraft gebessert hat.

c) Das Temperament kann den Menschen weder tugendhaft, noch lasterhaft machen; sondern es vermehrt oder vermindert bloß den Grad der angebornen sittlichen Empfindlichkeit.

Von der Illusion.

§. 11.

Wenn eine Nachahmung so viel Ähnliches mit dem Urbilde hat, daß sich unsere Sinne wenigstens einen Augenblick bereden können, das Urbild selbst zu sehen, so nenne ich diesen Betrug eine ästhetische Illusion.

Der Dichter muß vollkommen sinnlich reden; daher müssen uns alle seine Reden ästhetisch illudiren.

§. 12.

Soll eine Nachahmung schön seyn, so muß sie uns åsthetisch illudiren; die obern Seelenkräfte aber müssen überzeugt seyn, daß es eine Nachahmung, und nicht die Natur selbst sei.

Denn das Vergnügen, das uns die Nachahmung gewährt, besteht in der anschauenden Erkenntniß der Übereinstimmung des selben mit dem Urbilde. Es gehören also folgende beide Urtheile dazu, wenn wir an einer Nachahmung Vergnügen finden wollen: ,,dieses Bild gleicht dem Urbilde;" dieses Bild ist nicht das Urbild selbst." Man sieht leicht, daß jenes Urtheil vorangehen. muß; daher muß die überzeugung von der Ähnlichkeit intuitive, oder vermittelst der Illusion; die überzeugung hingegen, daß es nicht das Urbild selbst sei, kann etwas später erfolgen, und daher mehr von der symbolischen Erkenntniß abhangen.

§. 13.

Da uns die Nachahmung an und für sich selbst nicht so sehr vergnügt, als die Geschicklichkeit des Künstlers, der sie zu treffen gewußt hat, so sehen wir uns bei der Beurtheilung der schönen Künste über alles hinweg, wozu keine größere Geschicklichkeit von Seiten des Künstlers erfordert worden wäre, es nachzuahmen.

a) Daher sind die äußerlichen Verzierungen bei einer dramatischen Vorstellung nur zufällig, und öfters schädlich, wenn fie durch ihre eigene Schönheit unsere Aufmerksamkeit von der Vorstellung abwenden. Es ist genug, wenn die Verzierungen nicht durch einen offenbaren Widerspruch der Illusion schaden.

b) Ja es ist nicht einmal nöthig, daß ein bramatisches Stück aufgeführt würde, um zu gefallen. Wer beim Lesen urtheilen kann, ob der Dichter sein Stück mit der gehörigen Kunst ausgearbeitet, und ob er es so gemacht hat, daß es durch die lebendige Vorstellung eines höheren Grades der Nachahmung fähig werden kann; der kann die äußere Vorstellung leicht entbehren.

§. 14.

Das beste Mittel, uns intuitive von dem Werthe der Nachahmung zu überzeugen, ist, wenn vermittelst der Jllusion unangenehme Leidenschaften in uns erregt werden.

a) Wenn wir eine gemalte Schlange plößlich anblicken, so gefällt sie uns desto besser, je mehr wir uns davor erschreckt haben. Aristoteles glaubt, wir ergößten uns, weil wir von der vermeinten Gefahr befreit worden wären. Allein wie unnatürlich ist diese Erklärung! Ich glaube vielmehr, der kurze Schrecken überführt uns intuitive, daß das Urbild getroffen sei.

b) Daher gefallen uns alle unangenehme Affecten in der Nachahmung. Der Musikus kann uns zornig, betrübt, verzweiflungsvoll u. f. w. machen, und wir wissen ihm Dank für die unangenehmen Leidenschaften, die er in uns erregt hat. Man sieht aber, daß in diesen Fållen das zweite Urtheil: diese Affecten find nur nachgeahmt, unmittelbar auf den Affect folgen muß; weil sonst die unangenehme Empfindung, die aus dem Affecte entspringt, größer seyn würde, als die angenehme, die eine Wirkung der Nachahmung ist.

c) Aus diesen Gründen laffen sich die Gränzen des bes kannten Gesezes bestimmen: die schönen Künste sind eine Nachahmung der Natur, aber nicht die Natur selbst.

Zufällige Gedanken über die Harmonie der inneren und äußeren Schönheit.

(Um das J. 1755.)

(Aus J. Heinemann's Moses Mendelssohn. S. 57–66.)

Die Maschinen der Natur sind von den Kunstmaschinen darin unterschieden, daß bei jenen das Innere und Äußere, Materie und Form, Kraft und Schein, allezeit in der genauesten Verbindung stehen; welches aber bei den Werken der Kunst nicht statt findet. Die Baukunst macht eine Ausnahme. Die Gebäude müssen den Schein der Festigkeit und Bequemlichkeit haben. Die Materie verhält sich bei den Werken der Kunst bloß leidend, und der Künstler drückt ihr durch eine fremde Kraft eine ihr gleichgültige Form ein; dahingegen die Natur durch innere Kräfte die Materie in die gehörige Form bringen, und also durch innere Kraft den äußern Schein wirken läßt. Es wird sich also bei den Naturmaschinen, durch diese Harmonie des Innern und des Äußern, von dem Einen auf das Andere schließen lassen; bei den Kunstmaschinen aber nicht. Mit andern Worten: die Naturmaschinen haben eine Physiognomik, die Kunstmaschinen aber nicht.

Zwischen Güte und Schönheit findet dieselbe Harmonie statt, wie zwischen Kraft und Schein; denn die Schönheit ist nichts anderes, als sichtbar gewordene Güte und Tüchtigkeit.

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