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daß nach seiner Hypothese der Begriff von der Figur der Körper sehr unbestimmt sei, ja fogar, daß die Körper, wenn man will, nur als Flächen oder Linien betrachtet werden können. Denn da nach seiner Hypothese die Körper bloß aus Punkten, die nach allen drei Ausmessungen zerstreut sind, und aus Zwischenräumchen bestehen, so kann man diese Punkte entweder als in einer stätigen Oberfläche eingehüllt betrachten, und in diesem Fall machen sie einen Körper aus; man kann aber auch eine einzige Fläche oder gar eine einzige Linie annehmen, welche in ihren vielfältigen Krümmungen alle Punkte ohne Ausnahme in sich begreift; und in diesem Falle machen die Punkte zusammenge= nommen keinen wirklichen Körper, sondern uur eine ståtige Fläche oder eine ståtige Linie aus. Statt diese Beschuldigung

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von seiner Hypothese abzulehnen, sucht er vielmehr den Begriff von der Figur der Körper auch nach der gemeinen Meinung in Schwierigkeiten zu verwickeln. Er führt eine Stelle aus einer von ihm selbst geschriebenen Differtation de figura télluris an, in welcher er zeigen will, daß wir mit dem Worte: Figur der Erde, einen sehr schwankenden Begriff verbinden. Sein Be weis ist folgender. Diejenige Oberfläche der Erde, welche die ,,Meere, Flüsse, Berge und Thaler umschränkt, ist nicht nur, ,,wenigstens in Ansehung unser, unregelmäßig, sondern auch un,,beständig; denn sie wird mit jeder kleinsten Bewegung der fe,,sten und flüffigen Theile verändert. Von dieser Figur der ,,Erde ist auch niemals die Rede gewesen. Man hat eine an,,dere, gewissermaßen regelmäßige Figur dafür angenommen, die ,,jener am nächsten kommt; man hat sich nämlich vorgestellt, ,,die Berge und Hügel wären abgetragen, und die Thaler damit ,,angefüllt worden. Allein auch dieser Begriff von der Figur ,,der Erde ist schwankend und unbestimmt. Denn so wie unend,,lich viele regelmäßige Curven durch eine gewisse Anzahl gegebe,,ner Punkte gezogen werden können; eben also können unend,,lich viele krumme Flächen dergestalt um die Erde gezogen wer,,den, daß sie entweder in gewissen gegebenen Punkten die Berge ,,und Hügel berühren, oder dieselben auf eine solche Art durchschneiden, daß die innern leeren Lücken mit der außerhalb der Fläche befindlichen Materie angefüllt werden können; und alle „diese Flächen können demungeachtet regelmäßig seyn. Es giebt ,,also unendlich viele verschiedene Flächen, die der Aufgabe Ge

,,nuge thun"; und hieraus schließt Hr. Boscovich, daß die Aufgabe selbst unbestimmt seyn müsse.

Ich bin sehr begierig, erwähnte Dissertation des Hrn. Boscovich selbst zu lesen. Ich kann mir unmöglich vorstellen, daß ein so scharfsinniger Mathematikverständiger, als Hr. Bofcovich ist, vergessen haben sollte, daß unter allen diesen mannigfaltigen regelmäßigen Flächen doch nothwendig eine die allerkleinste seyn muß; und daß ohne Zweifel von dieser Fläche die Rede ist, wenn man die Figur der Erde zu bestimmen sucht.

(Der Beschluß folgt.)

XII. Den 20 Sept. 1759.

Beschluß des 54sten Briefes.

Die Alten haben geglaubt, die Linie, welche von einem Erdpol zum andern gezogen wird, sei einem halben Zirkel ähn lich; durch die Entdeckung der Neuern aber weiß man, daß diese Linie einer halben Ellipsis nåher komme, als einem halben Zirkel. Haben irgend die Alten nicht gewußt, daß man von einem Pol zum andern, durch so viel gegebene Punkte man will, unendlich viel regelmäßige Linien ziehen könne ? Gewiß, dieses kann ihnen nicht unbekannt gewesen seyn. Allein sie hielten den Zirkel für die kleinste regelmäßige Linie, die um die Erde gezogen werden kann; und die Neuern haben gefunden, daß eine Ellipsis, die um die Erde gezogen wird, kleiner sei, als ein um dieselbe gezogener Zirkel. Eben dieselbe Beschaffenheit hat es mit der Fläche, durch welche man die Gestalt der Erde bestimmt. Man sucht die kleinste Fläche, die um den Erdball gezogen werden kann; und diese sucht man mathematisch, aber nicht, wie Hr. Boscovich behauptet, aestimatione quadam morali, ausfindig zu machen. Und also haben die Worte: Figur der Erde oder der Körper überhaupt, nach der gemeinen Hypothese eine sehr bestimmte Bedeutung. Hr. Boscovich wird

ganz allein auf diesen Ausdruck Verzicht thun müssen, weil nach seiner Hypothese die ganze Körperwelt als eine einzige stätige Linie betrachtet werden kann, wie ich bereits oben angeführt.

Vielleicht könnte Hr. Boscovich hierin mit den Leibnizianern gemeinschaftliche Sache machen; denn obgleich nach ihrem System die deutliche Erklärung der Figur nicht eben die Schwierigkeit hat, als nach dem Boscovich'schen, so können sie doch aus andern Gründen ihrem Inbegriffe von einfachen Dingen nicht anders eine Figur zuschreiben, als insoweit die Zusammenfehung derselben als eine selbstständige Erscheinung betrachtet wird. Der Pater hat ohnedem sehr vieles mit dieser Schule gemein.

Außer vielen Stücken, deren ich bereits Erwähnung gethan, stimmt er noch mit derselben ein, daß die Materie in steter Bewegung sei, daß keine Veränderung in dem kleinsten Theile der Körper vorgehen könnte, ohne eine Veränderung im Ganzen nach sich zu ziehen; und läugnet, so wie sie, die Wirklichkeit einer ståtigen Größe, eines mathematischen Körpers in der Natur. Er sagt sogar mit ausdrücklichen Worten: Geometria tota imaginaria est, et idealis, sed propositiones hypotheticae, quae inde deducuntur, sunt verae, et si existant conditiones ab illa assumptae, existent utique et conditiones inde erutae (§. 369.). Hier geht Hr. Boscovich_noch weiter, als selbst die Leibnizianer. Diese würden sehr Bedenken tragen, zu sagen, die ganze Geometrie beruhe bloß auf der Einbildung.

55ster Brief.

Sie haben den rechten Punkt getroffen! Herr Boscovich scheint auf dem halben Wege zur Wahrheit stehen geblieben zu feyn. Die Ausdehnung, Undurchdringlichkeit und noch einige andere Eigenschaften der Körper erkannte er für bloße Erschei= nungen, die ihren Grund in den Kräften der einfachen Dinge oder Punkte haben, an und für sich aber so wenig als die Farben, Wärme und Kålte u. f. w. in den Körpern außer uns so

anzutreffen sind, wie sie sich unsern Sinnen darstellen. Allein von dem Raume und von der Bewegung sah er dieses nicht ein. Was Hr. Boscovich von dem Raume gehalten, werde ich Ihnen weiter unten Gelegenheit haben umständlicher zu erzählen. So viel haben Sie aus dem Vorhergehenden gesehen, daß er seine Ausdehnung aus unausgedehnten Punkten entstehen läßt, und sich mit den Waffen der Leibnizianer wider diejenigen vertheidigen muß, die hierin einen Widerspruch zu finden glauben, so wenig er auch dieses gestehen will. Allein diese unausge= dehnten Punkte, oder einfachen Dinge, wenn man sie so nennen will, stehen ihm von einander ab, und sind in dem leeren Raume, den wir vor uns sehen, nach allen Ausmessungen zerstreut. Er läßt also den Raum wirklich das seyn, was sich unsere Einbildungskraft von ihm vorstellt. Gleichergestalt verfährt er mit der Bewegung; denn da er seinen einfachen Dingen Kräfte zuschreibt, andere einfache Dinge bald an sich zu ziehen, bald von sich zu stoßen, so realisirt er alle Begriffe, die wir uns mit den Sinnen von der Bewegung machen; und muß fogar einen realen Einfluß, eine Wirkung in die Ferne, und viele andere Idole annehmen, die man mit gutem Erfolge aus der Metaphysik verbannt hat.

Und eben deswegen, weil sich Hr. Boscovich nur halb von den Idolen der Einbildungskraft befreit hat, macht er den Leibnizianern manche Einwürfe, die eine sehr unvollkommene Kenntniß des Leibnißischen Lehrgebäudes anzeigen. Er steht z. B. in der Meinung, Leibnik ließe seine Punkte sich unmittelbar einander berühren; und glaubt, wie ich Ihnen in einem meiner vorigen Briefe geschrieben, man hätte die Schwierigkeit noch nicht gehoben, die dem Zeno vorlängst gemacht worden, daß nämlich unausgedehnte Punkte, die sich unmittelbar berühren, nothwendig in einander fallen müßten. Wird sich der Leibnikianer nicht hier beklagen, daß man ihm Begriffe vom Berühren und Ineinanderfallen aufdringe, die sich nach seinem System nicht so schlechterdings aus der Meßkunst in die Metaphysik hinübertragen lassen? Mir ist das Berühren, wird er fagen, wie wir es mit den Sinnen begreifen, nichts als eine bloße Erscheinung; so wie der Cartesianer die Farben, und Hr. Boscovich auch die körperliche Ausdehnung für nichts anders erkennt. Von einfachen Dingen hingegen sagt man, fast auf eine figürliche Weise: fie berühren sich, wenn sie unmittelbar

wechselsweise in einander wirken; und diese Berührung muß man nicht mit den Sinnen begreifen wollen; denn was wåre dieses anders, als einfachen Substanzen Erscheinungen zuschrei ben, die ihren Grund in der Zusammenseßung haben? In einander fallen aber können einfache Dinge nicht eher, als wenn man die Merkmale aufhebt, daran sie erkannt und von einander unterschieden werden. So lange die Dinge aber verschieden sind, müssen sie mit andern zufälligen Dingen in einem verschiedenen Verhältniß stehen; mithin im Raume neben einander seyn, aber nicht in einander fallen. So erklärt sich Leibniz an verschiedenen Stellen, und die Leibnizianer in jedem Lehrbuche. Man kann ihnen Einwürfe machen, fie widerlegen, aber doch unmöglich mit dem Pater Boscovich (§. 317.) sagen, Leibnig habe seine ausgedehnten Punkte sich berühren lassen, damit ein continuum mathematicum daraus entstehe? Was für ein ungeheures Ding ist ein continuum mathematicum, das aus Leibnitischen Monaden zusammengesezt ist! Oder kann man sich es wohl träumen lassen, mit unserm Pater vorzugeben, daß beide, sowohl Leibniz als Zeno, cum simplicitate, et inextensione, quam iis elementis tribuunt, commiscent ideam illam imperfectam, quam sibi compararunt per sensus, globuli cujusdam rotundi, qui binas habet superficies a se distinctas (§. 137.)? Ich möchte wissen, was Hr. Boscovich von Leibniz gelesen hat, daß er solche Gedanken hat von seinem System hegen können.

Der Pater hat noch einen ziemlichen Vorrath von Einwůrfen wider die Leibnißische Philosophie hier und da in seinem Werke angebracht. Ich werde Sie aber nicht länger damit aufhalten.

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