페이지 이미지
PDF
ePub

56 ster Brief.

In einer dem Werke angehängten metaphysischen Untersuchung handelt Hr. Boscovich von der Seele und Gott. Die Vereinigung des Körpers und der Seele, sagt er, geschieht nach drei verschiedenen Arten von Gesezen (denn auch hier wird uns nicht mehr gesagt, als die Geseze, nach welchen die Veránderungen erfolgen), davon zwei von dem Geseße der Bewegung der materialischen Punkte ganz verschieden sind; die dritte aber kommt demselben in etwas nahe, und weicht wiederum in vielen Stücken von ihm ab. Aus gewissen örtlichen Bewegungen in den äußern Gliedmaßen entspringen gewisse geistige Bewegungen in der Seele; einige nothwendig, als die sinnlichen Empfindungen, andere durch eine freie Willkühr, als die Entschließungen des Willens. Dieses ist das erste Gesek.

Auf diese freien Entschließungen des Willens und innere geistige Bewegung der Seele erfolgen, vermöge des zweiten Gefeges, die örtlichen Bewegungen in den äußeren Gliedmaßen. Hingegen giebt es keine körperlichen Bewegungen, und keine Vorstellungen in der Seele, welche die freie Wahl des Willens nach einem gewissen Geseze bestimmen sollte, dieses jenem vor zuziehen. Höchstens, sagt Hr. Boscovich, dürften sie vielleicht gewisse Handlungen leichter machen, und die Seele mehr zu diefen als zu ihrem Gegentheile neigen können. Die Fähigkeit der Seele aber, die wir Willen nennen, muß allezeit die allerfreieste Wahl behalten, das Gegentheil zu wählen; dergestalt, daß sie bloß aus innerer Bestimmung sich auf die Seite lenken kann, wo die wenigsten Bewegungsgründe sind. Nach dem dritten Gesetze endlich bewegt sich die Seele aus ihrem Orte, und folgt allenthalben ihrem Körper nach. Es scheint aber nicht, meint Hr. Boscovich, daß hier, so wie bei den materialischen Punkten, die Anziehungen und Zurückstoßungen mit einander abwechseln sollten. Er vermuthet vielmehr, die Seele würde auch in der kleinsten Entfernung von dem Körper nicht zurückgestoßen, sondern könne völlig sowohl von der Materie, als von andern Geistern durchdrungen werden.

[ocr errors]

Der Pater kommt hierauf zu den Beweisen für das Da seyn Gottes, und widerlegt durch seine Hypothese den Einwurf,

daß eine jede endliche Folge von Begebenheiten, die noch so ordentlich, noch so vollkommen ist, durch eine bestimmte Anzahl zufälliger Würfe, bloß vom Ungefähr könne hervorgebracht werden. Der Hypothese der Atheisten von der Nothwendigkeit der Welt seht er, außer den Gründen, die ihm sein System an die Hand giebt, einen Schluß entgegen, welcher mit dem gemeinen Schlusse von der Unmöglichkeit einer unendlichen Reihe völlig übereinkommt. Hr. Boscovich, der ihn verbessert zu has ben glaubt, muß unsere deutschen Weltweisen niemals gelesen haben. Von dem System der besten Welt hat Hr. Bosco: vich ganz seltsame Gedanken. Er glaubt, wir würden, wenn dieses die beste Welt wäre, nicht nöthig haben, Gott für unser Daseyn zu danken; denn er würde uns ja wegen unseres Verdienstes zum Daseyn haben rufen müssen, weil die anderen Geschöpfe, die er in ihrem Nichts gelassen, nicht so gut zur besten Welt sich schicken, als wir. Wenn man ihm auch das müssen wollte hingehen lassen, das hier doch noch einer wichtigen Einschränkung bedarf; was für Begriffe hat Hr. Boscovich von der Dankbarkeit !

-

Einige mathematische Anhänge, die Hr. Boscovich aus andern von ihm verfertigten Schriften anführt, werden Sie vermuthlich selbst lesen. Wir wollen also nur noch hören, was er vom Raume und von der Zeit denkt. Er hat seine eigenen Gedanken hierüber aus seinen Supplementis Stayanis hergeseßt, einem Werke, das mir, so viel ich mich erinnere, noch nicht zu Gesichte gekommen.

,,Sowohl diejenigen", sagt Hr. Boscovich, welche den ,,Raum für ein wirkliches, stätiges, ewiges und unermeßliches ,,Ding halten, als die, welche ihn mit Leibniß und Cartes durch ,,die Ordnung der Dinge erklären; müssen dennoch einen mo,,dum,wie soll ich das Wort sogleich übersehen? - eine „Weise zu existiren annehmen, die nicht bloß in der Einbildung ,,besteht, sondern wirklich ist, vermöge welcher die Dinge da „sind, wo sie wirklich sind, die auch selbst so lange existirt, so lange die Dinge wirklich da sind, und verschwindet, sobald die ,,Dinge allda vorhanden zu seyn aufhören". Ja, Hr. Bofcovich meint, man müsse zwei solche Etwas zugeben, man möchte sie nennen, wie man wollte, das eine für das wo, und das andere für das wann: einen modum, per quem res est ibi, ubi est, und einen andern, per quem res est

[ocr errors]

tum, cum est. Nun giebt er einem jeden Punkte zwei Re hen von solchen wirklichen existirenden Modis, und diese ma chen sodann den wirklichen Raum und die wirkliche Zeit aus. Denkt man aber die bloße Möglichkeit von diesen Modis, fo hat man den leeren Raum und die leere Zeit, wenn man sich so ausdrücken kann, oder den eingebildeten Raum und die eingebildete Zeit.

,,Die wirklichen und eristirenden Modi entstehen und verge,,hen wieder, sind untheilbar, unbeweglich, unausgedehnt, und in ,,ihrer Ordnung unveränderlich". In dem Zwischenräumlein der Punkte giebt es einen möglichen Raum, indem wir uns die Möglichkeit immer anderer und anderer Punkte vorstellen, die zwischen den ersten Punkten ihre Modos finden könnten. Ht. Boscovich beweist, daß dieser mögliche oder eingebildete Raum ståtig, unendlich, ewig und nothwendig sei, obgleich alle diese Eigenschaften dem wirklichen Raume nicht zukommen. Endlich wendet er alles, was von dem Raume gesagt worden, auch auf die Zeit an. Ich weiß nicht, was ich aus dieser bloßen Möglichkeit machen soll, von welcher man doch behauptet, daß sie wirklich sei. Zwischen den Punkten giebt es einen Zwischenraum; dieser Zwischenraum ist wirklich, aber er ist nichts als ein möglicher Raum. Sehen Sie die Verwirrung, in welche den Pater seine Wirkung in die Ferne gestürzt hat? Er hat einen leeren Raum zugeben müssen; denn dazu nöthigte ihn seine Hypothese. Dennoch wollte er diesen Raum nicht mit ei: nigen Newtonianern für ein wirkliches, ausgedehntes, untheilbares und ewiges Ding halten. Er machte also eine bloße Möglichkeit daraus, und zwar eine Möglichkeit, die entweder existiren muß, - oder seine Punkte haben keine wirklichen Zwifchenräume, und fallen vermöge seiner eigenen Hypothese in einander. Um sein System nicht sinken zu lassen, hat er sich also zu handgreiflichen Widersprüchen verstehen müssen.

Dieses ist das allgemeine Schicksal der Hypothesen! Sie passen sich selten ganz genau auf die Natur; daher läßt man fich öfters verleiten, um die Hypothese nicht fahren zu lassen, den ersten und sichersten Begriffen Gewalt anzuthun. Sie werden, wenn Sie das Werk selber lesen, noch viele Stellen bemerken, in welchen sich die Schwäche der Hypothesen ganz offenbar zeigt. Und dennoch macht die Durchlesung desselben ungemein viel Vergnügen. Man sieht die mächtige Anstrengung

eines Genies, der ganzen Natur gleichsam Fesseln anzulegen, und sie allenthalben hinzuführen, wohin es von seiner Hypothese geleitet wird. Man sieht mit Verwunderung, was für Triebfedern der Verfasser in Bewegung seht, seine Hypothese in den Lauf zu bringen; und da ihm seine Aussicht alle Gegenstände von einer neuen Seite zeigt, so kann seine Bemühung so wenig für ihn als für die Leser ganz unfruchtbar ablaufen. Er muß auf seinem Wege hier und da ein Vorurtheil gestürzt, eine Wahrheit entdeckt, eine andere besser bewiesen, oder mit fruchtbareren Folgen bereichert haben; Lohns genug für die sauerste Arbeit, die uns die Untersuchung gekostet hat! Überhaupt ist es rühmlicher und der Wahrheit weit ersprießlicher, mit Genie von ihr abzuweichen, als dasjenige geistlos zu wiederholen, was Andere vor uns schon besser gesagt haben.

Aus dem IV. Theil.

II. Den 11 Oct. 1759.

60ster Brief.

Gefeht, ein Dichter hat Empfindungen auszudrücken, die ihm fremd sind, die er niemals selbst gefühlt hat; so wird er, wenn es ihm nur nicht an Genie mangelt, wenigstens denken statt zu empfinden. Seine Empfindungen werden das entzündete Feuer der Begeisterung nicht haben, die bei dem Leser ein sympathisches Gefühl erregen kann; er wird aber doch allezeit Ges danken hervorbringen, die gelesen zu werden verdienen. Der denkende Kopf kann spißfindig und frostig, aber niemals abgeschmackt werden.

Der Hr. Prof. Sulzer sagt irgendwo : wenn in der ,,Republik der Gelehrten Geseze könnten gegeben werden, so follte dieses eines der ersten seyn: daß sich niemand unterstehen

follte ein Schriftsteller zu werden, der nicht die vornehmsten ,,griechischen und lateinischen Schriften der Alten, mit Fleiß, und ,,zu wiederholten malen durchgelesen". Mich wundert es, daß dieser wahrhaftig denkende Kopf gegen die sich selbst bildenden Genies hat so unbillig seyn können. Sein Gefeß håtte uns ja um alle Werke des Shakespear bringen können! Wenn es möglich wäre, so sollte man lieber den Leuten, die nicht selbst denken, das Schriftstellerhandwerk legen, und wenn sie auch die Alten mit noch so viel Fleiß durchgelesen hätten! Das Genie kann den Mangel der Erempel ersehen, aber der Mangel des Genies ist unerfeßlich.

In der gelehrten Republik taugen die geistlosen Köpfe auch nicht einmal zu bloßen Tagelöhnern. Sie können die Materialien nicht einmal auf eine nügliche Weise zusammentragen, die zur Einrichtung eines Gebäudes nothwendig sind. Was sieht z. B. dem ersten Anblicke nach einer Tagelöhnerarbeit ähnlicher, als das Wörterbuchschreiben? Welcher seichte Kopf, der noch so sehr von seiner Unfähigkeit überzeugt ist, wird sich nicht für tüchtig halten, ein Wörterbuch in einer Sprache zu schreiben, die er nur so halbwege versteht? Allein was für große Gaben seht diese Arbeit nicht von Seiten des Verfassers voraus, wenn sie den Nugen haben soll, den man von ihr fordern kann! Hören Sie, was der vorhin erwähnte Sulzer davon sagt: Man kann den Werth eines vollkommenen Wörterbuchs nicht genug schätzen. Ein solches Werk ist ein Schak, an welchem „einer ganzen Nation sehr viel gelegen ist. Es erfordert die ver,,einigte Kraft verschiedener grosser Männer, denen es weder an ,,philosophischer Scharfsinnigkeit und Wissenschaft, noch an groffer Belesenheit, noch an Einsicht in alle Arten der Wissen,,schaften und Künste fehlet. Man würde vielleicht nicht zu viel ,,fagen, wenn man behauptete, daß die Verfertigung eines voll,,kommenen Wörterbuchs die schwerste und fürtreflichste Arbeit ,,des menschlichen Verstandes fey".

Zum Unglücke pflegen dergleichen Arbeiten mehrentheils ein Raub der schlechtesten Köpfe zu werden. Entweder wollen sich die Genies keiner so undankbaren Arbeit unterziehen, da sie ihre Fähigkeit nur gleichsam unter der Hand zeigen können; oder sie fehen die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, allzu deuts lich ein, und verzweifeln, sie mit Ruhm übersteigen zu können. Der schlechte Kopf ist glücklicher. Da er die Hindernisse nicht

« 이전계속 »