Sechzehnter Brief. In England haben Sie, gnädige Frau, unter Ihrem Geschlechte die mehrsten Geistesverwandten, die den Männern in vielen Fächern ästhetischer Bildung den. Siegeskranz streitig machen, da Ihrem Geschlechte eine reichere Phantasie, ein tieferes Gefühl, eine gröfsere Wärme und vorzüglich eine mehr bezaubernde Anmuth und Zartheit in den Gedanken und Ausdrücken, als unserem Geschlechte eigen ist, die, wie alle zarten Leidenschaften, gewissermalsen nur in Ihrem Gebiete liegen. Zu den Damen, die für diesen Augenblick am mehrsten in der Literatur sich auszeichnen, gehört Lady Morgan, geborne Mifs Ovenson. Ihr Vater, ein Verwandter von Oliver Goldsmith, hatte einen unwiderstehlichen Hang, sich für die Schaubühne zu verwenden, und verlor dadurch sein Vermögen. Er lebte in verschiedenen Gegenden Irlands. In den Verlegenheiten, die in seiner Familie entstanden, entwickelten sich sehr früh die Talente seiner Tochter, der jetzigen Lady Morgan. Sie verrieth in ihrer frühesten Jugend grofse Anlage und Vorliebe abwechselnd für Musik und Mahlerei; ehe sie aber noch zu den Jahren gekommen war, in welchen Geschmack und Genius erlernte Kennt nisse als Schätze gebrauchen können, ward sie genöthigt, für Brod zu arbeiten. Ihr erster Roman war eine sclavische Nachahmung anderer Romane und blieb ohne Beifall. In ihren späteren Arbeiten entwickelte sich eine ihr eigene Originalität, und in ihrem Wild Irish Girl schuf sie eine Art Dichtung, der vielleicht die allgemein beliebten Romane, welche man Walter Scott zuschreibt, ihren Ursprung und ihre Form verdanken. Der Roman Wild Irish Girl, und ihr eben vorher gedruckter Roman Novice of St. Dominick brachten sie in den höheren Cirkeln Irlands und Englands in die Mode. Sie hatte bis dahin keine Kenntnifs vom Leben, sie war in einsamen, von wilden Naturscenen umgebenen Gegenden aufgewachsen, und alle ihre Charactere entsprachen dem wirklichen Leben nicht. In dem Umgange mit wenigen Menschen hatte sie die Welt nicht kennen lernen können, denn alle ungebildete Gesellschaften, in die sie zuweilen kam, hatten sie stumm und theilnahmelos gelassen. Sie gerieth in ihr Element, wie sie in die gebildeten Cirkel des Lebens aufgenommen wurde. Schon vor der Ausarbeitung der letztgenannten Romane hatten Verrwandte, Sir Malthy und Lady Crofton, sie auf ihrem alten Sitz am Ocean in der Grafschaft Sligo aufgenommen, woselbst sie vorzüglich ihre patriotic Sketches ausarbeitete, in welchen sie die malerischen Schönheiten und die einfachen Landleute, von denen der Landsitz umgeben war, schilderte. Die Melodien irländischer Nationallieder hatten von frühester Kindheit an wunderbare Wirkung auf sie gehabt. Sie machte zu einigen ihrer Lieblingsmelodien englische Texte, die sie in London herausgab, und welche vielleicht die Veranlassung zu den englischen Texten irländischer Melodien gaben, womit Thomas Moore die Nation heschenkte. Lady Morgan ist von früher Zeit an sehr angefeindet worden. Sie hat aber immer die besten Zeug, nisse für sich gehabt, ist unbeugsam im Unglück gewesen, und hat immer für ihre Familie gestrebt und gesorgt. Das Recht zu erkennen und das Recht zu üben, ist immer eins und dasselbe bei ihr gewesen. Wie sie auf das empörendste verleumdet war, wünschte das Publicum in Dublin ihr Genugthuung bezeugen zu können, und es wurde auf dem Dubliner Theater ein Nachspiel von ihr unter dem Titel:,, Der erste Versuch," aufgeführt, und sehr zahlreich besucht. Am Abend ihrer Benefiz-Vorstellung gingen der Herzog und die Herzogin von Bedford (Lord und Lady Lieutenant von Irland), der ganze Rechtsgelehrtenstand und alles, was ausgezeichnet in Dublin war, in's Schauspiel, die Aufführung ehrenvoll und einträglich für die Schriftstelierin zu machen. Sie ist eine der jüngsten Schriftstellerinnen Englands, und hat doch schon sehr vieles geschrieben: St. Clair, 2 Theile, Novice of St. Dominick, 4 Theile, Wild Irish Girl, 3 Theile, Patriotic Sketches, 2 Theile, Ida, 2 Theile, The Missionary, 3 Theile, Odonel, 3 Theile, France, 2 Theile, The lay of the Irish harp, 1 Theil; zu 12 irländischen Melodien hat sie Texte herausgegeben. Ihr letztes Werk ist Florence Macarthy. Ihre späteren Schriften verrathen mehr Bekanntschaft mit dem wirklichen Leben und der Welt, und mehr philosophische Ansichten des Lebens, als ihre früheren. Ihr Ruf hat sich daher schnell vermehrt, und die öffentliche Aufmerksamkeit sieht mit Begierde den künftigen Erzeugnissen ihrer Feder entgegen. Mehrere ihrer Romane sind in's Französische, Spanische und in andere Sprachen übersetzt, und von ihren Memoires über Frankreich sind in England 3 Auflagen erschienen, eben so viele in America und eben so viele in Frankreich. Lady Morgan ist nur klein gewachsen, aber ausnehmend anmuthig und lebhaft, und vereinigt in ihrem heiteren, einnehmenden Aeusseren die Ruhe der feinen Bildung mit der Naivetät starker und origineller Talente und einer warmen Theilnahme, die aus angebornem Wohlwollen und einer thätigen, immer beschäftigten Seele entsteht. Ihre gesellschaftlichen Talente werden sehr gerühmt, sie besitzt im hohen Grade die Kunst, gut zu erzählen. Sie ist frei von aller Ziererei, liebt die Freude und den Scherz, und hat viel Humor. Man behauptet aber, dafs sie sich nicht gleich sey und nur in feineren Cirkeln sich auslasse, und dafs sie sich in undurchdringliches Schweigen und Verschlossenheit einhüllen könne. Vielleicht liebt sie ihr Geburtsland auch zu sehr. Obgleich sie eine Protestantin ist, so vertheidigt sie ihre katholischen Landsleute mit Wärme. Wie sie im Jahre 1811. im Norden von Irland den Marquis Aberkorn besuchte, wurde sie mit Sir Charles Morgan bekannt, der von London aus als Arzt dem Lord Hamilton Hülfe leistete. Gleichheit des Geschmacks knüpfte zwischen ihnen das eheliche Band, und seit ihrer Vermäh-lung lebt Lady Morgan gewöhnlich in Dublin, woselbst ihr Haus der Mittelpunct von allem demjenigen ist, welches sich in der irländischen Hauptstadt durch Geschmack, Lite-ratur und feine Sitte auszeichnet. Es wird den Frauen nicht leicht, sich civische Kronen zu erwerben. Lady Morgan gewann sich dennoch eine Bürgerkrone auf folgende Weise. Ein Briefträger, Vater einer zahlreichen Familie, hatte, obgleich sonst unbescholtenen Wandels, in einem Augenblick von peinlicher Noth einen Brief geöffnet und eine Banknote herausgenommen, in der Absicht, sie nach einigen Tagen wieder in den Brief zu schliefsen. Ehe es aber geschehen konnte, ward das Verbrechen entdeckt und 1 er zum Tode verurtheilt. Er verfiel darauf, sich an eine Schriftstellerin vom ersten Ruf um Rettung zu wenden. Lady Morgan erhielt einen Brief, ihn zu retten. Sie folgte der Aufforderung und wandte sich an die ausübenden Rechtsgelehrten ihrer Bekanntschaft. Alle versicherten ihr, das Verbrechen sey impardonnable, das Urtheil besiegelt und unabwendbar; jede Verwendung von ihnen würde nur Abweisung und Kränkung zur Folge haben. Dennoch wandte sie sich an den Baron Smith, den Präsidenten des Gerichts. Dieser verwies sie an den Vormann der Jury. Den beredete sie, die Jury zu versammeln, und setzte es durch, dafs die Jury den Verurtheilten der Königlichen Gnade empfahl, und dafs der Baron Smith diese Empfehlung unterstützte. Hierauf setzte sie eine Bittschrift an den Herzog von Richmond auf, der an der Spitze der Regierung stand, und, mit einem Wort, bewirkte, dafs die Todesstrafe in ewige Verbannung verwandelt wurde. - Es ist angenehm, hinzusetzen zu können, dafs der Verbannte sich in Neu-Südwales sehr gut und fleifsig beträgt und seine Familie in Unabhängigkeit reichlich ernährt. - Sie hat sich in der aristokratischen Welt sehr verhafst gemacht dadurch, dass sie den Nachfolgern von Ludwig XVIII., dem Könige, den Gott noch lange leben lassen möge, ihre Nativität gestellt und ihr und ihrer Anhänger Schicksal vorhergesagt hat. Das Licht der Wahrheit, wie Cicero sehr schön die Geschichte nennt, wird einst, fürchte ich, ihr Urtheil vor aller Welt rechtfertigen. Sie werden ihr Buch über Frankreich nicht ungelesen weglegen können. Diese Brittin hat Frankreich beschrieben, wie der Römer Tacitus Deutschland, d. h. als einen Spiegel für ihr Land, So sagt sie z. B.; |