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Zeit sind neue Idole hinzugekommen. Die Unalisten haben neue Erfindungsmittel erdacht, die in ihrer Wissenschaft, der Wahrheit unbeschadet, angenommen werden können und von herrlichem Nugen sind. Sie haben unendliche Größen, unendlichmal unendliche Größen; sie haben ein Verhältniß von nichts zu einer endlichen, von einer endlichen zu einer unendlichen Größe, und sogar ein Verhältniß von nichts zu nichts. Alle diese be queme Erfindungsmittel in der höhern Mathematik hat man in der Natur gesucht, wo sie nicht anzutreffen sind, und in die Weltweisheit einführen wollen, wo sie zu den abenteuerlichsten Folgerungen Anlaß geben.

Diesen Fehltritt hat man oft begangen. Man hat Begriffe realisirt, die in jener Wissenschaft als bequeme Voraussehungen eingeführt worden sind. Leibniz nannte sie notiones tolerabiliter veras. Sie kommen mit der Wahrheit nicht vollig überein; sie können aber in gewisser Absicht an ihre Stelle gefeßt werden, wenn das Falsche, das sie mit sich führen, in Ansehung dieser Absicht keine Veränderung macht. Sie find also nur zu dulden, so lange sie in ihren Gränzen bleiben; außer denselben aber müssen sie sich nie in das Gefolge der Wahrheiten einschleichen, um Unordnungen anzurichten.

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Wenn ich die Aufgabe zu beantworten håtte, wie die Sprache zu Vorurtheilen Anlaß geben kann, so würde ich die gemeine Sprache vielleicht nicht so viel beschuldigen, als die Sprache der Gelehrten. Wie ist man z. B. auf die Thorheit gefallen, die Natur zu vergöttern? Die Gelehrten haben bemerkt, daß die Quelle der Veränderungen in der sichtbaren Welt einer Substanz ähnlich sei: denn sie hat das Fortdauernde sowohl, als die Abwechselungen, die eine Substanz ausmachen. Sie gaben dieser neuen Substanz einen besondern Namen, nannten sie Natur, und schrieben ihr in besondern Fällen alle Wirkungen der erschaffenen Kräfte zu. Die Erfindung hat ih= ren vielfältigen Nußen. Allein man vergaß, daß es nur eine Erfindung sei; man bildete sich unter dem Worte Natur ich weiß nicht was für einen Gößen ein, und seßte ihn endlich auf den Thron der Gottheit.

Zu wie viel seltsamen Folgerungen hat nicht der Begriff vom Stande der Natur Anlaß gegeben, nachdem man ihn sich als einen wirklichen Zustand eingebildet, darkn die Menschen einst IV, I.

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gelebt? Und dennoch ist er nichts anders als eine bequeme Erdichtung der Sittenlehre, um die erworbenen Rechtsame, die zugezogenen Pflichten und Obliegenheiten von den ursprünglichen zu trennen. Der Name hat verführt, man hat den abstracten Begriff für etwas wirkliches gehalten.

Ohne so weit zu gehen, bedenken Sie nur, wie nüßlich es in dem gesellschaftlichen Leben der Menschen gewesen, gewisse seltne Metalle zu allgemeinen Zeichen aller Güter und Habseligkeiten einzusehen, und ihnen einen erdichteten Werth beizus legen. Wohnt ihnen aber kein Erempel bei, daß man diesen erdichteten Werth für wirklich, die Zeichen für die Güter, und durch einen seltsamen Sprung für die Glückseligkeit selbst ges nommen hat?

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Die unumstößliche Evidenz in der Mathematik beweist nichts für die allgemeine Wahrheit ihrer Grundsäße. Sie sind unlaugs bar, aber nur nach einer gewissen Vorausseßung, die bloß in dem Bezirke der mathematischen Wissenschaften so viel gilt als die strengste Wahrheit. Unser Verstand ist zu eingeschränkt, von allen Eigenschaften der Körper zugleich ohne Verwirrung zu philofophiren. Man hat sie also in der Einbildung trennen müsfen, ob sie gleich in der Natur nie getrennt sind. Die Aus dehnung ist eine Eigenschaft des Körpers, in welcher wir die mehresten Merkmale deutlich unterscheiden können. Der Punkt, die Linie, die Fläche, die Ausmessungen nach der Långe, Dicke und Breite, das Verhältniß, die Gleichheit, die Ähnlichkeit u. f. w. sind lauter Bestimmungen der Ausdehnung, die wit deutlich genug wahrnehmen können, wenn wir uns die Ausdehnung im abstracten Begriffe als eine Substanz vorstellen wollen. Diese deutlichen Merkmale geben Gelegenheit zu den allereinfach sten Grundsäßen; und hierauf beruht die große Evidenz der mathematischen Wissenschaften.

Die Mechaniker haben den Körper von einer andern Seite betrachtet. Sie haben die Beweglichkeit von seinen übrigen Eigenschaften getrennt, und sogar die Ausdehnung bei Seite geseht. Man weiß, daß sie öfters den Körper ansehen, als wäre er in einen einzigen Punkt concentrirt. Da sich die Bewegung durch Linien ausmessen läßt, so haben sie sich der Grundsäße der Mathematiker bedienen können; daher geben sie in Ansehung der Evidenz den mathematischen Wissenschaften nichts nach.

In der Ontologie sondert man auch die Zusammensetzung von den übrigen Eigenschaften des Körpers ab; man formirt Grundsäge, und beweist nach der Länge, was einem zusammengefeßten Wesen zukommen müsse. Allein die Merkmale der Zusammenseßung sind so deutlich, so einleuchtend nicht, als die Merkmale der Ausdehnung; daher fehlt der Lehre von der Zusammensetzung (componibilitas) die augenscheinliche Überzeugung, daran sich die Mathematik unterscheidet.

Will man aber von dem Körper überhaupt philosophiren, so müssen die Wahrheiten mit einander verglichen werden, die man von seinen Eigenschaften einzeln herausgebracht. Der Mechanikus muß die Ausdehnung, und der Meßkünstler sowohl die Beweglichkeit als das Wesen der Zusammenseßung nicht in Zweifel ziehen wollen; d. h. er muß seine Absonderungen nicht realisiren, er muß nicht mehr darauf dringen, daß eine stätige Ausdehnung nach der Länge, Breite und Dicke in der Natur vorhanden sei.

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Die Ausdehnung nach der Länge, Breite und Dicke bringt mich auf eine Erklärung vom mathematischen Körper, die ich vor einiger Zeit in einem arabischen Weltweisen gelesen. Ich werde sie Ihnen hierher sehen, weil ich sie leicht vergessen könnte. Sie wissen, daß die gemeine Erklärung nicht recht deutlich ist. Hören Sie nun, wie sich mein Araber ausdrückt. Es ist Abu Chamed in seinen Lehrmeinungen der Weltweisen“. „Eine Ausdehnung“, sagt er, innerhalb welcher man ,,aus einem einzigen Punkte drei Linien ziehen kann, die wechfelsweise auf einander senkrecht stehen, wird ein Körper, die ,,Linien aber Långe, Breite und Dicke genannt". Was dünkt Ihnen von dieser Erklärung? Sie seht nichts als Punkte, Linien und rechte Winkel voraus, die man alle nach mathematischen Begriffen, unabhängig von der Definition des Körpers,

erklären kann. Macht Sie diese Erklärung nicht bald begierig meinen alten Araber näher kennen zu lernen?

24ster Brief.

Nichts von dem Araber! unsere neueren Weltweisen müss sen vorangehen, denn unsere Zeiten sind ålter. Sie werden nunmehr Reinhard's Examen de l'Optimisme vermuthlich durchgelesen haben. Gestehen Sie mir, so wenig Wolfianer Sie auch seyn mögen, sind nicht seine stärksten Einwürfe, auf die er sich am meisten zu gute thut, fehlerhafte Versehungen der Begriffe aus der Mathematik in die Philosophie? Ja er hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, in die Tiefen der Algebra einzudringen. Die Regeln der gemeinen Rechenkunst haben ihm Gründe an die Hand gegeben, verschiedene von Leibnizens Sågen über den Haufen zu werfen; zu beweisen, daß in Anfehung einer einzigen Vollkommenheit zwei oder mehrere völlig gleichgültige Ausnahmen statt fånden, daß in diesem Falle der Zustand einer völligen Gleichgültigkeit vorhanden sei, den Leibniß für unmöglich hielt; und daraus den Schluß zu ziehen, daß der Wille eines vernünftigen Wesens nicht allezeit durch die Regel der Vollkommenheit allein gelenkt werden könne. Lassen Sie sich die Buchstaben A und B nicht irre machen, die bisweilen in seiner Abhandlung vorkommen. Es ist nichts als gemeine Arithmetik. Er schließt ungefähr folgendergestalt *): ,,Man nenne die Hauptregel der Vollkommenheit A, eine ihr ,,untergeordnete Regel a; den Mangel, welcher entsteht, wenn „die Ausnahme von der Regel A geschieht, B; so wie den von ,,Seiten der untergeordneten Regel a entstehenden b. Nun ver ,,halte sich die Quantitåt der Vollkommenheit in A zu der in ,,a=3:1; der Mangel B in Ansehung der Regel A = 1:9; ,,der Mangel b in Ansehung der Regel a=1:3". diesem Falle, sagt Hr. Reinhard, ist es völlig einerlei, von

In

) S. 27.

welcher Seite die Ausnahme geschieht. Sie mag von der allgemeinen oder von der untergeordneten Regel gemacht werden, so beträgt der Mangel in beiden Fällen nicht mehr und nicht weniger als 19.

Diesen Sah macht er in der Folge allgemein, und drückt ihn folgendergestalt aus: wenn ein vernünftiges Wesen durch ,,den Streit verschiedener Regeln der Vollkommenheit genöthigt „wird, eine Ausnahme zu machen, und es findet, daß allezeit, ,,die Ausnahme mag geschehen von welcher Seite man will, ,,nicht mehr und nicht weniger Vollkommenheit gewonnen und ,,verloren wird; so ist das vernünftige Wesen alsdann in dem ,,Zustande der völligen Gleichgültigkeit zwischen den verschiedenen ,,möglichen Ausnahmen". Hierdurch wird das ganze Leibnißische Lehrgebäude niedergeriffen.

Wenn wir solche handgreifliche Fehler in den Lehren eines großen Mannes zu finden glauben, so sollten wir billig einiges Mißtrauen in unser Urtheil feßen. Gemeiniglich pflegt alsdann der Irrthum auf unserer Seite zu seyn. Sie werden bald sehen, daß sich Hr. Reinhard in diesem Falle befunden.

Wenn man eine Größe ausmessen will, so muß man ein bestimmtes Maaß annehmen, mit welchem entweder das Ganze oder verschiedene Theile desselben gleich groß sind. Dieses gilt sowohl von der intensiven als von der extensiven Quantitåt. Wenn die Einheit, oder das Maaß, das ich annehme, mit der auszumeffenden Größe weder im Ganzen noch in den Theilen übereinkommt, so fällt die Möglichkeit des Ausmessens weg. Dieses wird Hr. Reinhard eingestehen.

Nun behaupten die Leibnizianer, und man hat sie hierin noch nie widerlegt, zwei vollkommen gleiche Größen fånden nur alsdann statt, wenn man mit den Mathematikern die Qualität bei Seite seht, und von der Quantität im abgesonderten Begriffe redet. In der Natur, wo sich die Quantität allezeit auf die Realität bezieht, beweisen sie, daß zwei vollkommen gleiche Größen eben so wenig vorhanden seyn können, als zwei vollkommen ähnliche oder übereinkommende Dinge (congruentia). Reinhard läugnet zwar den Saß des Nichtzuunterscheidenden. Warum hat er aber die Beweise nicht entkräftet, die Wolf und Baum= garten davon gegeben? Er muß sie nicht gelesen haben, wenn er glaubt, die ganze Kraft ihres Beweises beruhe nur darauf, daß der Schöpfer keinen zureichenden Grund gehabt hätte, eines

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