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Bestimmung der Römer lag nach einer andern Seite hin: sie bethätigte und erfüllte sich in der Staats-, Kriegs- und Rechtskunst, nicht zu vergessen die Unrechtskunst. Auf dem Schutt der antiken Welt, welche in ihrer Altersschwäche durch das Christenthum geistig überwunden und durch die Völkerwanderung materiell in Trümmer geschlagen worden war, erhob sich sodann als Basis der modernen Literatur im weitesten Sinne das christliche Dogma und die christliche Mythologie. Ihre Tochter, die Romantik, wurde die Muse der Dichtung des Mittelalters und schlug zuerst in Frankreich ihren Wohnsiz auf. Von hier aus beherrschten ihre Inspirationen die Literatur sämmtlicher west- und süd-europäischer Nationen. Am wenigsten unbedingt war ihr die italische Literatur unterworfen, weil in Italien der romantische Geist von vornherein in der wieder angebahnten Bekanntschaft mit dem antifen ein Gegengewicht fand, was aber für die Entwickelung der italischen Poeste eben kein Glück war, indem die klassische Reminiscenz dieselbe schon in ihren Anfängen zu einer unvolksthümlich-gelehrten machte. Am reinsten, reichsten und volksmäßigsten erblühte die romantische Dichtung auf der pyrenäischen Halbinsel. Die spanische Literatur, von der volksthümlichen Romanzen-Epik zur kunstmäßigen Lyrik und von dieser zum auf religiöser Grundlage ruhenden Drama vorschreitend, darf sich rühmen, die nationalste der modernen Literaturen zu sein. Mit der spanischen wetteifert an organischer Gliederung die englische, welche ebenfalls auf dem Fundament der Volkspoesie den Triumph der Kunstdichtung, ein reiches und nationales Drama, aufgebaut hat. Die mittelalterlich-romantische Dichtung Deutschlands zeichnet sich vor der anderer Völker durch einen Zug seelenvoller Innigkeit aus und diesen Zug wußte sie nicht nur in aus der Fremde geholte romantische Stoffe, sondern auch in unsere altnationale, romantisch umgebildete Heldensage zu legen, wodurch allerdings die Ursprünglichkeit derselben sehr stark beeinträchtigt worden ist. Mit Frankreich und Italien theilt Deutschland den Mangel eines nationalen Theaters, dessen Hervorbildung aus mittelalterlich-religiösen Elementen bei uns naturgemäß in einer, Zeit hätte vor sich. gehen müssen, wo der Tumult der Reformation und die Schrecken des dreißig= jährigen Krieges unsere Nationalität in ihren Wurzeln bedrohten. Unberührt von romanischen Einflüssen, hat sich in der Poesie des alten Nordens eine Riesenhaftigkeit der Phantasie entfaltet, welche an die von Alt-Indien erinnert; nur daß hier alles weich und verschwommen, dort alles schroff und zackig ist. Auch die altslavische Volkspoesie hat sich, gleich der skandinavischen, unabhängig von der Romantik entwickelt und zeigt die Eigenthümlichkeit einer vorwiegend historischen Färbung; die moderne slavische Literatur dagegen ist, wie ja die moderne Kultur der Slaven überhaupt, durchweg ein Produkt der Nachahmung westeuropäischer Muster.

Schon im Mittelalter regte sich die Ahnung eines Zusammengehörens der europäischen Nationen, einer europäischen Völkerfamilie. Die Jdee des Papst

thums sowohl als der Gedanke einer Weltobmacht des „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation" nährten diese Ahnung, welche durch die Kreuzzüge zeitweilig sogar eine Wirklichkeit war. Daß die Kreuzzüge auch eine große literarische Bedeutung hatten, indem sie die Verbreitung des Geistes südlicher Romantik nach dem Osten und Norden unseres Erdtheils wesentlich förderten, weiß jedermann. Ein dauernderes Band der Wechselwirkung zwischen den europäischen Literaturen, als die angegebenen mittelalterlichen Motive gebildet hatten, wob sich jedoch erst vom 16. Jahrhundert an und zwar unter der Einwirkung der wieder erwachten klassischen Studien und des seine großartige reformistische Wirksamkeit beginnenden Skepticismus und Kriticismus. Die Ueberlieferungen der antiken Welt, die griechisch-römischen Literaturschäße wurden mehr und mehr ein gemeinsames Gut aller Gebildeten. Wer sich dieses Besigthums mit dem meisten Geschick und Eifer zu bedienen wußte, hatte die Lenkung der literarischen Bewegung Europa's. So war im 16. Jahrhundert diese Führerschaft bei den deutschen Humanisten und Reformatoren, während im 17. die italische und spanische, im 18. die französische, im 19. endlich die englische und abermals die deutsche Literatur den Ton angab und angibt. An italische und spanische Vorbilder sich lehnend, stellte Frankreich am Wendepunkt des 17. und 18. Jahrhunderts für die gelehrte Hofdichtung die „klassischen“ Muster auf, wie es später durch seine skeptische und revolutionäre Literatur die Emancipation der Geister vom kirchlichen und politischen Dogma signalisirte. Dann kam England an die Reihe, um mit den gesunden Elementen seiner ältern und neuern Dichtung, insbesondere mit shakspeare'schen, die deutsche Klassik zu befruchten, und von dieser, wie von der ihr auf dem Fuße nachtretenden deutschen Neu-Romantik gingen sofort leuchtende und zündende Stralen in alle Länder aus. Die Pseudoklassik wurde in Frankreich, Italien und Spanien gestürzt und diese Nationen, sowie die Skandinaven und Slaven, die Magyaren und Neugriechen, allen voran und mit glänzendstem Erfolge die Engländer, bedienten sich der neuromantisch-nationalen Anschauungen als eines Verjüngungsmittels ihres Schriftthums. Zu den wieder erweckten romantischen Motiven gesellten sich aber, vorab in Frankreich, Motive modernster Natur, welche man, weil sie sich mit der Kritik der Gesellschaft befassen, sozialistische zu nennen pflegt. Spuren dieses aus Frankreich importirten Sozialismus begegnet man überall in der europäischen Literaturthätigkeit der neuesten Zeit. Doch ging die Schwindelperiode dieser ursprünglich aus einer Mischung von Wertherismus und Childe-Haroldismus entsprungenen Nichtung bereits vorüber. Für die deutsche Literatur ist mit Schöpfungen wie Göthe's Hermann und Dorothea, Schillers Wallenstein und Tell, Heinrich von Kleists Hermannsschlacht und Körners Kriegslyrik die Wendung vom Kosmopolitismus zum Nationalismus eingetreten. Seitdem die jungdeutsche Französelei vorübergegangen, wie andere französische Tagesmoden auch vorübergehen, ist

es den Deutschen mehr und mehr zum Bewußtsein gekommen, daß die Idee des Vaterlandes die Seele aller Kulturarbeit sein müsse und demnach auch das Grundmotiv der Literatur. In diesem Prinzip, welches, richtig gefaßt und richtig angewandt, unserer Universalität keinen Abbruch thut, lag die Hoffnung auf den Ausbau der Einheit, Macht und Größe unseres Volkes, eine Hoffnung, welche mittels des wundersam heldisch und herrlich geführten Krieges von 1870-71 schöner, als die begeistertste Vaterlandsliebe je zu ahnen gewagt hätte, sich zu erfüllen begonnen hat. Und worauf wir am meisten stolz sein dürfen, ist, daß unsere nationale Wiedergeburt eine Zeugung des Geistes war, bevor sie ein Werk der materiellen Kraft wurde. Die dee der deutschen Einheit ging der politischen That voran wie der Blig dem Donner. Auf dem Amboß geduldiger Kulturarbeit hat der Hammer des Gedankens das deutsche Siegesschwert geschmiedet und alle, welche mitschufen an unserer Wissenschaft und Literatur, an unserer Philosophie, Geschichteschreibung, bildenden Kunst, Dichtung und Musik, haben auch mitgeschaffen an dem neuen deutschen Reichsbau.

Erstes Kapitel.

Der Orient.

Soweit es der sprachwissenschaftlichen, mythologischen und historischen Forschung bislang gelungen ist, das über den Anfängen der Geschichte der Menschheit brütende Dunkel mälig zu lichten, darf als feststehend angesehen werden, daß die Ländermassen, welche auf der östlichen Halbkugel zwischen den Stremgebieten des Nils und des Hoangho sich lagern, die Stätten ältester Kultur gewesen sind. Die endgiltige Entscheidung der noch immer schwebenden Streitfrage, wo die menschliche Kulturarbeit zuerst angehoben, ob in den Niederungen am gelben Flusse oder im schwarzerdigen Lande des Phtah oder in den Quellgebieten des Indus und Orus, dürfte noch lange auf sich warten lassen. Vielleicht kann sie, als zuleht identisch mit der Frage der Abkunft des Menschengeschlechts von einem oder von mehreren Urpaaren, gar nie unwidersprechlich beantwortet werden. Immerhin ist es das Wahrscheinlichste, daß die Kultur der Chinesen und der Aegypter, der Arier (Inder und Francr) und der Semiten zwar nicht gleichzeitig, aber doch in nicht allzugroßen Zwischenräumen und von einander unabhängig sich zu entwickeln begonnen habe, und gewiß ist, daß die Bildung dieser Völker als die älteste dasteht.

Ostwärts also hat sich der Blick dessen, welcher die Geschichte der geistigen Thaten des menschlichen Geschlechtes erzählen will, zuvörderst zu wenden. Dort find die Quellen zu suchen, von welchen Ströme von Nationen über den Erdboden ausgegangen. Dort schritt der Mensch am Stabe der religiösen Jdee zuerst aus dem Kreise der Thierheit heraus, den Blick himmelwärts hebend, die leuchtenden Gestirne um eine Antwort auf die Räthselfrage seines Daseins anzugehen. Dort zuerst wandelte sich der Mensch vom schweifenden Jäger und Nomaden zum seßzhaften Ackerbauer, um auf der Grundlage dieser Lebensweise soziale und staatliche Gesittung, Kult, Kunst und Wissenschaft aufzubauen. Dort demnach, wo zu allen materiellen, ideellen und sittlichen Errungenschaften der Menschheit der Grund gelegt worden ist, hat sich auch die Phantasie zuerst schaffungskräftig geregt, um wie die Wunder des Universums so die Tiefen der Menschenbrust

zu beleuchten, die Idee der Religion mythologisch auseinanderzufalten und die Erinnerung an Vergangenes sagenhaft zu gestalten. So sind die Pfade, welche in ältesten Zeiten der menschliche Genius gewandelt, in der Literatur der Orientalen zu suchen und auch zu finden. Denn der Orient ist für uns kein verschlossenes Buch mehr. Von älteren Versuchen, die Siegel desselben aufzuthun, zu schweigen, ist von der Zeit an, wo im vorigen Jahrhundert des berühmten Engländers G. Jones sechs Bücher Kommentarien über die asiatische Poesie (Poëseos asiaticae commentar libr. VI., 1777) veröffentlicht wurden, das Dichterwort: „Fern im Osten wird es helle, alte Zeiten werden jung“ schön in Erfüllung gegangen. Eine emsige Schar von englischen, französischen, italischen, deutschen und russischen Gelehrten hat uns die literarischen Schäße des Morgenlandes mit glücklichstem Erfolge nahe gebracht, als Sprachforscher, Archäologen, Erläuterer und Ueberseßer. 1)

Die ganze Literatur des Orients trägt ein dichterisches Gepräge, weil die Phantasie der Grundcharakter seiner gesammten Geistesthätigkeit war und ist. Nicht als ob es dieser Literatur an Gefühl, an Geist, an Witz fehlte, aber die Einbildungskraft bleibt, wenn wir die Chinesen ausnehmen, doch immer das übermächtige Motiv alles Dichtens und Denkens der morgenländischen Völker. Diese überreich quillende Phantastik hat die Orientalen mit sehr wenigen Ausnahmen verhindert, das fünstlerische Maß und die harmonische Selbstbeschränkung zu finden. Ihrem Phantasie-Ideal fehlt die plastische Fixirung. Sie vermochten nicht zu der Einsicht durchzubringen, daß reinste Schönheit nur in der Umgränzung des Menschlichen zu finden sei. Ein endloses Gewoge zauberhaft dahinhuschender, sich drängender und verdrängender Bilder, Gemälde ohne Schatten und Perspektive, ein Zerfließen und Zerflattern der Gestalten in's Nebelhafte, Ungeheuerliche, ein Verflüchtigen alles Wesenhaften und Thatsächlichen in Symbolik und Allegorie, ein Versäuseln des Gedankens in mystische Dunstwolken, ein Herabsinken des Hohen und Idealen in gemeine Sinnlichkeit und lascive Genußgier, ein orgiastischer Rausch von Wollust und Grausamkeit, dazwischen erhabene Orakeltöne, Sprüche tiefsinniger Weisheit, innige Herzenslaute: so ist die orientalische Poesie. Im Uebrigen folgte

1) Wir Deutsche besitzen einen Reichthum von Dolmetschungen orientalischer Dichtung, wie ihn kein zweites Volk aufzuweisen hat. Eine sehr umfassende, mit Kenntniß und Geschmad getroffene Auswahl aus diesem Reichthum gibt die „Polyglotte der orientalischen Poesie. In metrischen Uebersetzungen deutscher Dichter." Mit EinLeitungen und Anmerkungen von H. Jolowicz, 1853. Von dem Gange, den Mühsalen und Ergebnissen der Studien und Arbeiten, welche die europäische Gelehrsamkeit der sprach= wissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen und literarhistorischen Erforschung des Morgenlandes widmete, geben allseitig-belehrendes Zeugniß die stattlichen Bändereihen der „Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft," des ,,Journal of the asiatic society" und des,,Journal asiatique."

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