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Rückschritt geschehen. Gegenwärtig besteht in ganz Deutschland gar keine Einrichtung zu rechtlicher Entscheidung von Streitigkeiten unter seinen verschiedenen Staaten. Die Verfassung des norddeutschen Bundes kennt bis itzt nur für Handelssachen ein Bundesgericht. Streitigkeiten unter den Bundesstaaten sollen, in so ferne sie nicht als privatrechtlicher Art von den competenten Gerichtsbehörden (?!) zu entscheiden seien, auf Anrufen des einen Theiles durch den Bundesrath erledigt werden, und in gleicher Weise soll auch bei Klagen über Justizverweigerung zu verfahren sein. (S. Art. 76.) Es wird also von einer politischen Behörde, ohne vorgeschriebene und sichernde Formen des Verfahrens, ohne Bezeichnung eines maassgebenden Gesetzes und Rechtes entschieden, mit anderen Worten, es ist Alles der Politik und ihren Erwägungen anheimgestellt. Dieser auch den mässigsten Anforderungen des Rechtes und einer gesunden Staatsweisheit nicht entsprechende Nothbehelf ist zwar nicht als eine abschliessende Einrichtung gegeben, vielmehr die Einsetzung eines Bundesgerichtes als einstige Folge einer weiteren Ausbildung der deutschen Verhältnisse in Aussicht gestellt worden: allein zunächst besteht er, und wer vermag zu sagen, wann die Zeit zu einer besseren Organisation geeignet erachtet wird? Dass unter den süddeutschen Staaten sowohl selbst als für ihre Verhältnisse zum norddeutschen Bunde oder dessen einzelnen Mitgliedern gar keine Vorkehrung getroffen ist und dieselben in allen auswärtigen Beziehungen auf dem Boden des allgemeinen Völkerrechtes, also schliesslich der Selbsthülfe, stehen, ist zwar nicht als ein Fehler gegen die Logik einer Föderation zu erklären, eben weil diese Staaten in keiner solchen Verbindung stehen; allein die Möglichkeit der Lücke beweist mehr als manches Andere die fundamentale Heillosigkeit des ganzen Verhältnisses.

Nichts wäre überflüssiger, als die Unzulässigkeit, ja völlige Unhaltbarkeit eines solchen Zustandes erst noch ausführlich nachzuweisen. Er ist mit schweren Verlegenheiten und selbst plötzlichen Gefahren schwanger, entspricht weder ideellen Forderungen noch den practischen Bedürfnissen, weder dem Rechte noch der Politik. Wir stehen in einer wichtigen Ord

nung staatlicher Dinge hinter dem zurück, was Deutschland vier Jahrhunderte lang besessen hat; die tadelnden Blicke, welche so allgemein auf die unvollkommenen Einrichtungen des deutschen Bundes geworfen wurden, erscheinen itzt fast als ungerechtfertigt, haben jeden Falles sich mit weit entschiedener Schärfe anderswohin zu richten; die während eines halben Jahrhunderts unermüdlich fortgesetzten Verbesserungsbemühungen, welche wiederholt schon ihr Ziel erreicht zu haben schienen, müssen wieder ganz von vorne beginnen. Kurz, die beklagenswerthe Unfertigkeit unserer Zustände liegt auch hier vor Aller Augen.

Es ist eine traurige Hoffnung, und doch die einzige bestehende, dass eben diese Offenkundigkeit und Grösse des Uebels die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer Heilung jedem denkenden Staatsmanne nahe legen muss. An dieser ist also wenigstens festzuhalten, und jeder dazu irgend Berufene hat für seinen Theil nach einer baldigen und vollständigen Erfüllung, nämlich an der Wiedereinführung eines stehenden obersten Gerichtes für alle Staaten und Stämme deutscher Nation zu streben. Die Lehren der Geschichte so vieler Völker sind zu beachten. Wir werden uns insbesondere, so ist zu hoffen, auf die Dauer nicht durch die Schweizer und Amerikaner übertreffen lassen.

Die romantische Schule der Nationalökonomik in

Deutschland.

Von Wilhelm Roscher.

I.

Die Nationalökonomik, welche sich um Adam Müller gruppiren lässt, verhält sich zu Adam Smith und dessen Schule ähnlich, wie auf dem Gebiete der schönen Literatur die sog. Romantik zu unseren grossen Klassikern.

An dichterischem Erfindungs- und Gestaltungsvermögen stehen die Schlegel, Tieck etc. ihren Vorgängern wesentlich nach: sie bringen es in dieser Hinsicht, abgesehen von einzelnen, allerdings köstlichen Originalperlen, nur selten hinaus über Kritik und Reminiscenz. Aber sie haben den poetischen Gesichtskreis doch bedeutend erweitert, indem sie den fernsten Orient, das germanische Mittelalter und den ganzen reichen Schatz der romanischen und katholischen Dichtung in Deutschland einführten. Wie der gewaltthätige Universalerbe des 18. Jahrhunderts, Napoleon, alle Kulturvölker Europas gleichmässig bedrohet hatte, so war auch die Reaction gegen das antikisirende, rationalisirende, centralisirende, nivellirende und generalisirende Wesen der Aufklärungs- und Umwälzungszeit allen europäischen Völkern mehr oder weniger gemeinsam, selbst den Franzosen, wiewohl es doch gerade das

Vorherrschen des französischen Tones war, das von dieser Reaction bekämpft wurde. Jedenfalls hat die deutsche Romantik hiebei das Wichtigste geleistet. Sie hat aus dem humanistischen und individualistischen Weltbürgerthume des 18. Jahrhunderts zur lebendigen Auffassung der, zwischen den Einzelnen und der ganzen Menschheit in der Mitte liegenden, Nationalitäten zurückgeführt; ebenso aus der rationalistischen Selbstüberhebung der Gegenwart zur liebevollen Vertiefung in das Recht, die Religion, überhaupt die Geschichte früherer Zeitalter. Oft mit phantastischer oder selbst launenhafter Uebertreibung! Wie z. B. die romantische Auffassung der alten Mythologie, die mit gutem Erfolge von der flach-heitern, leblos-allegorischen Behandlung der Alexandriner und Römer auf die wirklich religiöse, mystische, sog. Nachtseite ihres Gegenstandes zurückging, bei Creuzer zu dem abenteuerlichen, gefährlichen Gedanken einer weisen, esoterischen Priesterschaft führte, die bis in die Urzeit gereicht und nachmals das Christenthum vorbereitet hätte. Oder wie schon 1803 (in Berlin) A. W. Schlegels Vorlesungen über das Mittelalter die Religionskriege, das Faustrecht etc. in einer Weise erklärten, die leicht wie eine Verklärung, eine Sehnsucht nach Wiederherstellung solcher guten Dinge aussehen konnte. Ernst gemeint war diese Sehnsucht natürlich nicht: sie ist eine Seite jener Ironie, die sowohl in der Kunstlehre, wie in der Kunstübung der Romantiker einen so hervorragenden Platz einnimmt, und die Julian Schmidt sehr treffend aus dem Uebermuth einer Bildung, welche alles Geistige analysiren konnte, und zugleich dem Bewusstsein eigener Unproductivität erklärt hat. Nach der letztern Seite hin ist es charakteristisch, dass selbst die beiden Schlegel kein grösseres wissenschaftliches Werk geschrieben haben, sondern immer nur Journalaufsätze, Vorlesungen vor einem gemischten Zuhörerkreise u. dgl. m. Gleichwohl hat dieses halb dilettantische Verfahren zwei der grössten neueren Wissenschaften vorbereitet die deutsche Philologie und die vergleichende Sprachlehre. Auch derjenige Philosoph, welcher den Romantikern am nächsten steht, nämlich Schelling, hat durch seine

tiefere Entwickelung des Begriffes Organismus und namentlich durch seine Uebertragung dieses Begriffes von der äussern Natur auf das geistige Leben der Menschheit zwar eine Menge halbwahrer Analogien, voreiliger Abschlüsse und freiheitswidriger Folgerungen hervorgerufen, aber sich doch um alle Wissenschaften der Massen-Ethik und Massen-Psychologie zugleich unsterbliches Verdienst erworben.

II.

Als ihren bahnbrechenden Vorgänger haben fast alle deutschen Staats- und Wirthschafts-Romantiker nicht, wie sie eigentlich sollten, J. Möser, sondern den grossen Parlamentsredner und praktischen Philosophen Edmund Burke angesehen, dessen Betrachtungen über die französische Revolution in der That gegenüber der Aufklärungs- und Revolutionsliteratur des 18. Jahrhunderts einen Wendepunkt von höchster Wichtigkeit darstellen. Wenn auch der Ausdruck Organismus in diesem Werke kaum vorkommt, so ist dasselbe doch thatsächlich die grossartigste Durchführung der organischen Staatsansicht, mit ihrem Kampfe gegen jede Willkür des Individuums und Augenblicks und mit ihrer steten Zusammenfassung des Volksganzen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier wird die britische Constitution gegenüber der französischen Revolution, die anfangs scheinbar nach Aehnlichem strebte, doch im tiefsten Wesen ungefähr so charakterisirt, wie ein natürlicher Baum mit Wurzel, Stamm und Krone, der Schatten gibt und Früchte bringt, gegenüber einem sog. Freiheitsbaume, der vom Zimmermanne gemacht, vom Tapezier ausgeschmückt worden ist, damit revolutionäre Vernunftfeste davor gefeiert werden.

Gleichwohl ist es ein grosser Irrthum, wenn die Gegenrevolutionäre, die Wiederhersteller des Mittelalters, die wirklichen Feinde moderner Freiheit und Ordnung Burke als Patron anrufen. Er lebt und webt in der englischen Verfassung, einer Verfassung also, von welcher Malthus so bescheiden als wahr geurtheilt hat: „dass sie, was immer auch ihre theoretischen Fehler sein mögen, doch praktisch

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