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Ohne uns deshalb um die mathematische Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Hypothese zu kümmern, nehmen wir an, dass entsprechend der naturgemässen Zerlegung der an einem Punkt wirkenden störenden Kraft in zwei Komponenten, welche bzw. parallel dem Meridian und dem Breitenparallel wirken, in diesen beiden Richtungen gezwungene und freie Wellen erzeugt werden, welche sich den von Airy abgeleiteten Gesetzen gemäss verhalten. Unter dieser Annahme ist es ohne Schwierigkeit möglich, alle beobachteten Erscheinungen zu erklären.

Um zunächst zu zeigen, was erklärt werden soll, wird es zweckmässig sein, an einigen Beispielen zu zeigen, welcher Art die Unterschiede der Beobachtung und der Theorie sind. Die astronomische Theorie verlangt, dass die durch den Mond hervorgebrachten Gezeiten etwa 2,2 mal so gross seien als die von der Sonne herrührenden; denn dies ist das Verhältniss der störenden Kräfte. Dieses Verhältniss ist nun fast nirgends durch die Beobachtung gefunden worden. Es ist annähernd vorhanden an den europäischen Küsten, wo die Sonnenfluth sich zur Mondfluth verhält wie 1:2,4 bis 2,6; dagegen ist es an der ganzen atlantischen Küste der Vereinigten Staaten wie 1:5 bis 6. Umgekehrt ist es auf Tahiti wie 1:0,8, d. h. die Sonnenfluth überwiegt die Mondfluth, und beide sind annähernd gleich auf Mauritius und Ceylon.

Nach der Theorie sollen die eintägigen Gezeiten in Höhe nur etwa 0,4 der halbtägigen betragen; in Wirklichkeit finden wir, dass sie an der europäischen Küste fast ganz verschwinden, an der amerikanischen Küste schon recht merklich sind und ihr Einfluss von Norden nach Süden zunimmt, während sie im Bismarck-Archipel und innerhalb der Malayischen Inselwelt durchaus die Gezeiten beherrschen und im ganzen Indischen Ocean einen sehr hervorstechenden Zug in der Charakteristik der Gezeiten bilden. Es finden sich also auf der Erde sehr mannigfaltige Verhältnisse.

Man könnte diese Beispiele von der Nichtübereinstimmung der Theorie und Beobachtung noch sehr mannigfach vermehren; um jedoch nicht zu weitläufig werden, möge es mit den angeführten genug sein.

Wenn man Erscheinungen wie die angeführten überblickt, so wird man in erster Linie an Interferenz-Erscheinungen zwischen mehreren Wellen denken, und in der That ist dieser Gedanke schon öfter ausgesprochen worden; man hat aber mehr daran gedacht, solche Erscheinungen durch die Interferenz von zwei Zweigen derselben Welle zu erklären, welche durch örtliche Verhältnisse gezwungen sind, auf verschiedenen Wegen an den betreffenden Beobachtungsort zu gelangen, als dass man zwei verschiedene sich

kreuzende Wellensysteme auf der Erde angenommen hätte. Man suchte eben die Erklärung von Fall zu Fall, während nach der hier vorgetragenen Ansicht die sich kreuzenden Wellen in letzter Linie kosmischen Ursprungs sind und daher eine allgemeine Erklärung aller Erscheinungen aus einheitlichem Gesichtspunkte versprechen.

Um wenigstens anzudeuten, in welcher Weise man sich unter der gemachten Hypothese die Gezeitenerscheinungen klar machen. kann, möge man sich in einem ausgedehnten Wasserbecken von gleichmässiger Tiefe zwei sich unter einem Winkel kreuzende Wellen von gleicher Periode entstanden denken. Wenn man nun die Folgen dieser Interferenz ableitet, so ist das erste wichtige Ergebniss das, dass der Phasenunterschied der beiden Wellen an einem gegebenen Orte nur von der Entfernung dieses Ortes von dem Punkt, wo sich die Wellen in gleicher Phase befinden, und von dem Winkel, unter dem sich die Wellen kreuzen, abhängt, also für einen gegebenen Ort eine konstante Grösse ist. Denkt man sich nun die in einem gegebenen Augenblick stattfindende Lage der Dinge fixirt und geht man dem Kamm der einen Welle nach, so übersieht man leicht, dass dieser nach und nach mit ganz verschiedenen Phasen der anderen Welle zusammentrifft. An einem Punkt treffen die Kämme beider Wellen zusammen, der Phasenunterschied ist Null, die Höhen der beiden Wellen addiren sich, und der Fluthwechsel ist gross; eine halbe Wellenlänge weiter trifft der Kamm der einen Welle mit dem Thal der anderen zusammen, der Phasenunterschied ist 180° und die Höhe der beobachteten resultirenden Welle ist die Differenz der Höhen der beiden Wellen in dem gegebenen Augenblick, und der Fluthwechsel an diesem Ort klein. Analoges gilt für andere Punkte. Die Anziehung der Gestirne erzeugt nun, wie gesagt, zwei Arten von Wellen: halbtägige und eintägige, und für beide gilt natürlich das Gesagte in gleicher Weise. Da aber die beiden Wellenarten ganz unabhängig von einander sind und überdies die Länge der eintägigen Wellen das Doppelte von derjenigen der halbtägigen beträgt, so ist es klar, dass die Phasenunterschiede der beiden eintägigen und der beiden halbtägigen Wellen an verschiedenen Punkten ganz verschieden von einander sein werden. Wäre z. B. an irgend einem Punkt der Phasenunterschied, sowohl der beiden halbtägigen, wie der beiden eintägigen Wellen gleich Null, so ist die Höhe beider gross; wir haben grossen Fluthwechsel, aber mit starker, sogenannter täglicher Ungleichheit. In der Entfernung einer halbtägigen Wellenlänge von diesem Ort ist dann zwar der Phasenunterschied der halbtägigen Wellen wieder Null, derjenige der eintägigen aber 180°; wir haben daher hohe halbtägige, aber fast verschwindende eintägige Wellen. Dies würde den Verhältnissen an den europäischen Küsten

VII. Int. Geogr.-Kongr. Thl. II.

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entsprechen, wo die eintägige Gezeit sehr klein ist. An einem anderen Punkt kann das Umgekehrte eintreten, d. h. die halbtägigen Wellen treffen mit entgegengesetzten, die eintägigen mit gleichen Phasen zusammen, in welchem Falle man fast reine Eintagsfluthen beobachten würde, wie innerhalb des Malayischen Archipels. Zwischen diesen Extremen können alle möglichen Zwischenzustände vorhanden. sein, durch die alle an den Küsten irgendwo beobachteten Erscheinungen erklärt werden können.

Bisher war nur die Rede von den durch ein Gestirn erzeugten Wellen, wir haben es aber in Wirklichkeit mit zwei wellenerzeugenden Gestirnen, dem Monde und der Sonne zu thun, und es ist die Frage zu beantworten, wie sich an einem gegebenen Ort die aus der Interferenz der einem derselben zugehörigen resultirende, zur Beobachtung gelangende Welle zu der des anderen Gestirns verhält. Es ist nun eins der Ergebnisse der Airy'schen Untersuchungen, dass die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit einer Welle, deren Länge viel grösser ist als die Wassertiefe, was für die Fluthwelle zutrifft, lediglich von der Wassertiefe abhängt, und zwar gleich der Quadratwurzel aus dem Produkt der Acceleration der Schwere und der Tiefe ist. Andererseits ist die Länge der Welle gleich dem Produkt aus der Fortpflanzungs-Geschwindigkeit und der Periode der Welle. Hieraus folgt, dass zwar die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit der Sonnen- und der Mondwelle über den Ocean dieselbe ist, dass aber ihre Längen sich wie 57:59 verhalten, weil ihre Perioden in diesem Verhältniss zu einander stehen. Trifft demnach an irgend einem Punkt die Sonnenwelle mit der in gleicher Richtung fortschreitenden Mondwelle in gleicher Phase zusammen, so wird dies an einem in der Fortpflanzungs-Richtung der Wellen, um die Länge der Sonnenwelle von dem ersteren entfernt liegenden Punkt nicht mehr der Fall sein, vielmehr ist hier die Phase der Mondwelle um nahe der Periode oder um 12° gegen die Sonnenwelle zurück. Dasselbe gilt natürlich auch für die beiden Wellen, welche sich in einer Richtung senkrecht zu der zuerst angenommenen fortpflanzen. Man sieht daraus, dass an verschiedenen Orten die einander kreuzenden Sonnenwellen einen ganz anderen Phasenunterschied haben können, wie die an demselben Ort sich kreuzenden Mondwellen. Die Folge davon ist, dass an verschiedenen Punkten der Erde die Sonnen- und Mondwellen in den allerverschiedensten Verhältnissen zu einander stehen, dass bald die ersteren, bald die letzteren überwiegen können. Hierdurch werden die vorher erwähnten Erscheinungen auf Tahiti, Ceylon, Mauritius einerseits, wo die Sonnenwellen, und an der Atlantischen Küste der Vereinigten Staaten andererseits, wo die Mond

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wellen ungewöhnlich stark ausgeprägt sind, auf die einfachste und ungezwungenste Weise erklärt werden können.

Dies ist das Schema der freien Wellen, wie ich es mir im Ocean vorhanden denke, und es dürfte genug gesagt sein, um zu zeigen, dass mittelst desselben sich alle bisher bekannten Erscheinungen der Gezeiten in ungezwungener und einheitlicher Weise erklären lassen. Es muss aber besonders betont werden, dass die soeben vorgetragene Auffassung zunächst nur eine Hypothese ist, für welche der Nachweis erst zu liefern ist. Dies kann aber nur geschehen, wenn wir uns bezüglich der Beobachtung der Gezeitenerscheinungen von den Küsten frei machen und zuverlässige Beobachtungen auch von hoher See erhalten können. Ich habe schon gesagt, dass vielversprechende Vorarbeiten hierfür schon im Gange sind, welche hoffentlich zu einem günstigen Ergebniss führen werden. Freilich sind auch dann, wenn wir die nöthigen Instrumente besitzen und wir uns auf diese verlassen können, noch keineswegs alle Schwierigkeiten gehoben. Es sind nicht nur finanzielle, sondern auch technische Schwierigkeiten zu überwinden und nicht zum wenigsten die vorgefasste Meinung, dass es unmöglich sei, derartige Beobachtungen ohne den Stützpunkt der Küste mit genügender Genauigkeit zu erhalten. Ich schmeichle mir keineswegs mit der Hoffnung, dass schon in kurzer Zeit alle Schwierigkeiten überwunden werden könnten; aber ich meine, wenn erst einmal der Gedanke ausgesprochen, die Möglichkeit seiner Realisirung dargethan und das hohe Ziel desselben, zu einer vollständigen Lösung des Gezeiten-Problems zu gelangen, in voller Klarheit erfasst worden ist, dass dann auch die Mittel zu seiner Ausführung sich finden werden. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich denn auch geglaubt, nicht zögern zu sollen, um vor diesem hohen wissenschaftlichen Tribunal die Nothwendigkeit der Ausdehnung der Gezeitenuntersuchungen auf den freien Ocean zu vertreten und den Weg und das Ziel, welches zu erreichen ist, anzudeuten. Nur wenn wir auf den Ocean hinausgehen, können wir hoffen, zu einer vollständigen Lösung des GezeitenProblems zu gelangen; thun wir das, so ist uns auch die Lösung sicher.

(Diskussion s. Theil I, Nachmittags-Sitzung vom 2. Oktober, Abthlg. B.)

Gruppe 1d. Geophysik.

Die moderne seismische Forschung.

Von Prof. Dr. Gerland (Strassburg).

(Nachmittags-Sitzung vom 2. Oktober, Abthlg. B.)

Gewiss ist es mit Freude zu begrüssen, dass die Fragen nach den grossen Einheiten und ihren Gesammteigenschaften, welche der Wissenschaft heutzutage als neue Probleme vorliegen, der GesammtErde, der menschlichen Societät, der organischen Entwickelung, dass diese Fragen immer mehr in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses hineinrücken. Drängt doch die ganze Arbeit, der Zug und Gang unseres jetzt zu Ende gehenden Jahrhunderts auf diese Gesammtbetrachtungen hin; und obwohl sie erst jetzt, erst in Folge der ungemeinen Entwickelung, der gleichwerthigen Entfaltung der Individuen möglich wurden, welche Massen neuer Gedankenkreise und wichtigster Aufgaben, die plötzlich und fast ungeahnt auftreten, verdanken wir ihnen; welch neues Licht verbreiten sie über viele der bisherigen, schon, wie es vielleicht schien, gelösten Einzelfragen! Zeigen doch die Gesammtbetrachtungen, intensives Eindringen verlangend, vielfach erst die wahren Zusammenhänge der Dinge und erschliessen dadurch neue, fruchtbarere Bahnen der Forschung.

Und ein weiterer, gewiss nicht gering anzuschlagender Vorteil dieser Gesammtaufgaben liegt darin, dass sie die Völker einigen in gemeinschaftlicher, idealer Arbeit. Denn die Bahnen zu den neuen hohen Zielen lassen sich schon räumlich nicht beschränken, sie dehnen sich über die ganze Erde aus und verlangen die Mitarbeit aller Theile, aller Völker der Erde; so ist die internationale Arbeit für die Gegenwart von hohem Werth, und für die Zukunft wird sie immer wirkungsund bedeutungsvoller werden.

Alles von dem Studium der grossen Einheiten oder Ganzheiten gesagte gilt von der Erdkunde, d. h. der Wissenschaft von der Gesammt-Erde, ihren Funktionen und ihren Theilen in besonders

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