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Gruppe 111. Biogeographie.

Über die heutige Fauna der russischen und westsibirischen Steppen in ihrer Beziehung zu der pleistocänen Steppenfauna Mittel-Europas. Von Prof. Dr. A. Nehring (Berlin).

(Nachmittags-Sitzung vom 28. September, Abthlg. B.

Die Fauna oder Thierwelt eines durch eigenthümliche Lebensbedingungen charakterisirten grösseren Gebietes zeigt eine Anzahl eigenthümlicher Arten, welche man als Charakter-Thiere des Gebietes zu bezeichnen pflegt. Unter ihnen sind für die jüngeren Epochen der Erdgeschichte besonders die Säugethiere wichtig, weil ihre fossilen Reste verhältnissmässig häufig gefunden werden und eine sichere Vergleichung mit den entsprechenden bzw. nächstverwandten Arten der Jetztzeit gestatten. Aus ihrer Zahl sind wieder diejenigen Arten besonders charakteristisch, welche ein sesshaftes, an die Scholle gebundenes Dasein führen.

Im Laufe der Jahrhunderttausende, welche seit der Bildung grösserer Kontinente verflossen sind, hat sich im Zusammenhange mit den floristischen Verhältnissen ein wichtiger faunistischer Gegensatz herausgebildet, nämlich der von Wald- und Steppenfaunen. Vermuthlich reicht die Entstehung dieses Gegensatzes bis in die jüngere Miocăn-Zeit zurück. Wenigstens deutet die Entwickelungsgeschichte der Equiden (der pferdeartigen Thiere) darauf hin, dass sie seit der jüngeren Miocan-Zeit unter dem wesentlichen Einfluss der Entstehung grosser Steppengebiete, namentlich in Nord-Amerika, sich vollzogen hat. Die heutige Bildung des Pferdefusses und des Pferdegebisses ist offenbar eine im Laufe langer Epochen entstandene Anpassung an das Leben in Steppengegenden. Dasselbe gilt vom Körperbau der Springmäuse und anderer Steppenthiere.

Es giebt heutzutage auf der Erdoberfläche eine Anzahl grösserer und kleinerer Steppengebiete; ich erwähne vor allen das grosse

centralasiatische Steppengebiet, mit dem das Gebiet der osteuropäischen Steppen zusammenhängt, ferner das nord- und das südafrikanische Steppengebiet, das grosse nordamerikanische Steppengebiet, die Ljanos am Orinocco, die Pampas von Argentinien und Patagonien.

Jedes dieser Steppengebiete zeigt eigenthümliche faunistische Verhältnisse, sowohl im Ganzen, als auch wieder in den einzelnen Abschnitten. In jedem giebt es eine Anzahl eigenthümlicher SäugethierArten, welche als Charakterthiere des betreffenden Gebietes bezeichnet werden dürfen. Unter ihnen spielen gewisse Nager-Arten eine hervorragende Rolle, namentlich solche, die in unterirdischen Höhlen hausen.

So wird auch die heutige Fauna der russischen und der sich anschliessenden westsibirischen Steppen, welche wir hier eingehender betrachten wollen, in erster Linie durch eine Anzahl von Nagethieren charakterisirt, die in unterirdischen Höhlen zu hausen pflegen und sich hierdurch einerseits gegen den harten Steppenwinter, andererseits gegen die Nachstellungen ihrer Feinde schützen.

Dahin gehört an erster Stelle die grosse Springmaus (Alactaga saliens Gmel.), auch Pferdespringer, Sandspringer oder Erdhase genannt. Dieses kängeruh - ähnlich gebaute Thier erreicht aufgerichtet fast die Höhe eines wilden Kaninchens, ist aber viel zierlicher gebaut als letzteres und gehört zu einer ganz anderen Familie der Nager. Es ist die kräftigste und am weitesten nach Norden verbreitete Art der merkwürdigen Familie der Dipodidae und geht im östlichen Russland bis über den 54. Grad n. Br. hinaus.

Neben dieser sehr charakteristischen Springmaus findet sich in den Steppen der Gouvernements Kasan, Samara und Orenburg der röthliche Ziesel (Spermophilus rufescens K. u. Blas.), nahe verwandt mit Spermophilus altaicus Eversm., einer Art, welche in den altai'schen Steppen vorkommt. In den Gouvernements Saratow und Astrachan kommen einige andere Ziesel-Arten vor, eine kleine Art (Sp. brevicauda Brdt.) und eine grosse (Sp. fulvus Licht.).

Wichtig ist dann weiter das Steppen-Murmelthier (Arctomys bobac Schreb.), ein naher Verwandter des Alpenmurmelthiers, aber durch gewisse osteologische Abweichungen, durch andere Färbung des Haarkleides und andere Lebensweise von jenem verschieden. Der Bobak findet sich heutzutage nur östlich vom Dnjepr; er kommt besonders häufig in den Tschernosem-Steppen der Gouvernements Saratow und Simbirsk vor. Die in vielen zoologischen Büchern noch immer wiederholte Angabe, wonach der Bobak im heutigen Polen vorkommen soll, ist durchaus unrichtig.

Dazu kommen von Nagethieren noch zwei kleine graue

Steppenhamster: Cricetulus phaeus Pall. und Cr. arenarius Pall., von denen der erstere westlich bis Orel verbreitet ist; ferner eine Anzahl von Feldmäusen aus der Gattung Arvicola (Microtus). Endlich ist der Zwerg-Pfeifhase (Lagomys pusillus Pall.) zu nennen, der allerdings heutzutage gänzlich auf die jenseits der mittleren Wolga gelegenen Steppen beschränkt zu sein scheint; man kennt ihn hauptsächlich aus den Steppen am südlichen Fusse des Uralgebirges, aus dem Obtschei-Syrt und den Mugodscharischen Bergen. Dieser kleine Pfeifhase ist heutzutage die einzige Art der zoogeographisch so interessanten Gattung Lagomys, welche nach Europa hineinreicht.

Einige sonstige Steppennager, wie Spalax typhlus und Ellobius talpinus, haben für unsere Betrachtung weniger Bedeutung; dagegen sind aus der Zahl der Hufthiere einige zu nennen, nämlich die SaigaAntilope (Saiga tatarica Pall.), das wilde Pferd (Equus caballus ferus) und der Dschiggetai oder Halbesel (Equus hemionus Pall.). Der letztere kommt heutzutage nur noch in einem Theile der Kirgisensteppen und in den angrenzenden centralasiatischen Steppen vor; das wilde Pferd hat, wie man nach Berichten aus dem vorigen Jahrhundert annehmen darf, vor ungefähr 130 Jahren noch in gewissen Theilen der russischen und westsibirischen Steppen gelebt; heute existirt es dort als wildes Thier nicht mehr.

Die Saiga, eine der eigenthümlichsten Antilopen, die es überhaupt giebt, findet sich noch in mässiger Zahl in den ciswolgensischen Steppen unweit Sarepta und Zarizyn; häufiger ist sie in den südwestsibirischen Steppen. Im vorigen Jahrhundert kam sie westlich bis zum Dnjepr vor, also bis an die Ostgrenze des alten Königreichs Polen; es ist aber unrichtig, wenn in manchen zoologischen Werken angegeben wird, dass sie im heutigen Polen vorkomme.

Bei der Kürze der Zeit verzichte ich auf Anführung sonstiger Säugethiere aus den russischen und westsibirischen Steppen. Die vorher genannten Arten genügen zur Charakterisirung der betreffenden Fauna.

Ich wende mich der diluvialen (pleistocänen) Steppenfauna Mittel-Europas zu, d. h. derjenigen Steppenfauna, welche während eines gewissen Abschnittes der Diluvial- oder Pleistocän-Periode in Mittel-Europa gehaust hat. Da ist nun die sehr beachtenswerthe Thatsache zu konstatiren, dass alle die oben erwähnten Charakterthiere der heutigen russischen und westsibirischen Steppen zahlreiche und sicher bestimmbare Fossilreste in gewissen Ablagerungen MittelEuropas, welche den mittleren oder jüngeren Abschnitten der DiluvialPeriode entstammen, zurückgelassen haben. Insbesondere sind es der Löss und die lössähnlichen Ablagerungen, welche solche Fossilreste von Steppenthieren enthalten, und es ergiebt sich hieraus. VII. Int. Geogr.-Kongr. Thl. II.

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der Schluss, dass zur Zeit der Lössbildung in Mittel-Europa eine deutlich ausgeprägte Steppenfauna von dem Charakter der heutigen ostrussischen und westsibirischen Steppenfauna hier gehaust hat, ja strichweise sogar bis Belgien, SüdEngland und West-Frankreich verbreitet gewesen ist.

Diese Thatsache ist von grossem wissenschaftlichen Interesse, nicht nur für den Zoogeographen, sondern auch für den Pflanzengeographen, Geologen, Klimatologen und Urgeschichtsforscher. Dem Pflanzengeographen liefert sie den Beweis, dass eine charakteristiche Steppenflora einst grosse Areale Mittel-Europas bedeckt hat, und dass der Wald damals sehr eingeschränkt war. Dem Geologen beweist sie, dass die vielumstrittene Richthofen'sche Lösstheorie nicht nur für den chinesischen Löss, sondern auch für die meisten Lössablagerungen Mittel-Europas zutreffend ist.

Der Klimatologe erkennt aus der diluvialen Steppenfauna MittelEuropas, dass einst zeitweise das russische Steppenklima seine Herrschaft weit nach Westen vorgeschoben hatte; der Urgeschichtsforscher kann daraus entnehmen, unter welchen klimatischen, floristischen und faunistischen Verhältnissen die menschlichen Bewohner MittelEuropas zur Zeit der Bildung der sogenannten subaërischen Lössablagerungen gelebt haben.

Kurzum, die geschilderte fossile Steppenfauna Mittel-Europas wirft ein aufklärendes Licht auf eine grosse Anzahl wichtiger Fragen. Jeder, der jene Steppenfauna ohne Vorurtheil näher studirt, wird sich von ihrer wissenschaftlichen Bedeutung mehr und mehr überzeugen. Es giebt zwar noch immer manche Forscher, welche jene Steppenfauna ignoriren oder die Bedeutung derselben bekämpfen; aber ihre Zahl hat in letzter Zeit stark abgenommen. Da ich auf die etwaigen Einwürfe gegen meine Auffassung dieser ganzen Sache hier nicht eingehen kann, so verweise ich auf meine bezüglichen Publikationen, namentlich auf mein Buch „Über Tundren und Steppen der Jetzt und Vorzeit, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Fauna", Berlin 1890, Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung.

Gruppe 111. Biogeographie.

Über Zweck und Methode zoogeographischer Studien. Von Ernst Hartert (Tring, England).

(Nachmittags-Sitzung vom 28. September, Abthlg. B.)

Der Zweck zoogeographischer Studien ist nach meiner Ansicht ein zweifacher. Der eine ist der der Eintheilung der Erde in zoogeographische Gebiete, Regionen, Unterregionen u. s. w. Eine solche Eintheilung ist insofern von grossem Werth, als wir mit ihrer Hilfe rascher und leichter die Thatsachen der Verbreitung der Thiere überblicken und uns rasch und genau orientiren können. Sie ist daher für den Lernenden und für museologische Zwecke sehr wichtig. Sie hat uns ein Bild der jetzigen Verbreitung der Thiere zu geben. Theorien über die Ursachen derselben und die aus paläontologischen Funden gewonnenen Kenntnisse der Verbreitung in früheren Erdperioden haben damit nichts zu thun und sollten dabei nicht berücksichtigt werden, da sie oft das Bild nicht unwesentlich verändern. Wo z. B. jetzt Wüste ist, war früher vielleicht nicht Wüste, wo wir also heute das Bild einer reinen Wüstenfauna haben, gewinnen wir durch Hinzuziehung fossiler Funde ein total verschiedenes Bild. Die Palaeontologie kann uns wohl manches Auffallende und manche Gründe der heutigen Verbreitung der Lebewesen erklären, aber sie ist nur geeignet ein Bild der Verbreitung in früheren Perioden, nicht aber der heutigen Verbreitung zu geben.

Ganz etwas Anderes ist es, wenn wir aus den Thatsachen der jetzigen Verbreitung Winke und Andeutungen geben, oder direkte Schlüsse ziehen wollen auf den früheren Zustand der Erdoberfläche gewisser Gegenden. Dass durch gewisse Erscheinungen der Thierverbreitung auf das frühere Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Landverbindungen geschlossen werden kann, ist ziemlich allgemein anerkannt worden, doch ist bei solchen Schlüssen Beherrschung des Gegenstandes und einige Vorsicht nöthig. Bei solchen Untersuchungen, sollte die Paläontologie ganz besonders berücksichtigt werden

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