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Gruppe IVc. Völkerkunde.

Der Ursprung der Arier in geographischem Licht. Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Friedrich Ratzel (Leipzig).

(Vormittags-Sitzung vom 3. Oktober.)

Nach den Versuchen, den Ursprung der Arier mit den Mitteln der Geschichte und Sprachwissenschaft aufzuhellen, ergreift die Geographie das Wort, nicht wähnend, das grosse Räthsel zu lösen, wohl aber hoffend, es wesentlich fördern zu können. Das Recht der Geographie, an dieser Arbeit mitzuwirken, liegt darin, dass alle Völkerbewegungen vom Boden abhängig sind, auf dem sie sich vollziehen. Es muss also auch im Ursprung, in den Wanderungen und in den Festsetzungen der Arier ein geographisches Element sein, das man isoliren und darstellen kann.

Wir verstehen unter Ariern die Gesammtheit der Völker, welche die Sprache des arischen Stammes sprechen und zur hellen Rasse gehören. Alle sind zu irgend einer Zeit in der Geschichte der Menschheit hervorgetreten, alle haben einen hohen Grad von Kultur erworben, viele haben Kultur geschaffen, seit 2 Jahrtausenden sind Arier die Träger der höchsten Kultur. Unter dem Problem der Rasse liegt uns daher das Problem der Kultur und unter diesem das Problem der Sprache. Von diesen dreien ist die Rassenfrage die älteste, die Sprachenfrage die jüngste.

Die Rassenfrage. Die helle Rasse kennen wir aus der Geschichte als die Rasse Europas, Nord-Afrikas und Vorder-Asiens. Sie wohnt nördlich von der Negerrasse, westlich und südlich von der mongoloïden Rasse. Sie ist nach ihrer ursprünglichen Verbreitung eine Rasse der Nordhalbkugel, und zwar ihrer östlichen Hälfte. Den äussersten, höchsten und vielleicht auch jüngsten Zweig am Baum dieser Rasse bildet die weisse oder blonde Rasse, die noch entschiedener nördliche Wohnsitze hat. Sie tritt uns zuerst in den skandinavischen Ländern, in NordDeutschland und im westlichen Russland entgegen, dem Ausgangsgebiete der drei grossen blonden Völker der Geschichte. Mit Unrecht

bezeichnet man die helle Rasse wohl auch als arische oder indogermanische. Die arische Sprachfamilie umschliesst nur einen Theil der Völker der hellen Rasse, und die asiatischen und osteuropäischen Arier gehören zum Theil anderen Rassen an.

Indem wir die Frage nach dem Ursprung der hellen und der weissen Rasse aufwerfen, müssen wir uns klarmachen, dass ihre Beantwortung nur unter zwei Voraussetzungen möglich ist. Der Ursprung der hellen Rasse reicht in eine Zeit zurück, wo das heutige Europa noch nicht bestand. Dieser Ursprung hat sich in einem älteren Europa abgespielt, das wesentlich anders war als unser Europa. Und er ist nur denkbar auf einem sehr weiten Raum. Dasselbe gilt auch für den Ursprung der weissen Rasse. Man muss der Hoffnung entsagen, diese Ursprünge in dem Europa, wie es heute ist, und hier in engen Gebieten, wie Skandinavien, im Inneren Russlands oder am Kaukasus zu finden. Der Raum gehört nicht nur zur Entstehung, sondern auch zur Erhaltung einer Rasse. Rassen in engen Räumen verkümmern, nur in weiten Räumen treiben sie Äste und Zweige und bilden einen mächtigen Stamm wie die Arier. Die helle Rasse konnte sich auch nur da entwickeln, wo die Mischung mit mongoloïden und negroïden Elementen ausgeschlossen war. Sie muss von beiden Rassen schärfer getrennt gewesen sein als heute.

Die Geschichte Europas zeigt uns nun eine Zeit, wo Meer, Eis, Seen und Sümpfe Ost-Europa von Nord-Asien sonderten; Europa war damals nicht eine Halbinsel von Nord-Asien, sondern von VorderAsien, und ausserdem hing es mit Afrika zusammen, aber bald legte sich die Wüste zwischen Nord-Afrika und Innen-Afrika. So war ein grosses und ziemlich geschlossenes Gebiet gegeben, in dem die helle Rasse ihre Sondermerkmale ausbilden konnte. Wir glauben also, dass die helle Rasse in Europa, Nord-Afrika und Vorder- Asien entstanden ist. Inwieweit Nord-Asien an dieser Entwickelung betheiligt war, werden künftige Forschungen zu zeigen haben. Wir halten es einstweilen nicht für wahrscheinlich, weil sonst die helle Rasse ihren Weg nach Nord-Amerika hätte finden müssen, das in einem Abschnitt der Diluvialzeit mit Nord-Asien zusammenhing.

Als das Eis sich von Nord-Europa zurückzog, liess es einen Raum frei, nach dem nun Einwanderungen von Süden und Südosten stattfinden konnten. Wir finden von der neolithischen (jüngeren Stein-) Zeit an eine Bevölkerung, die der heutigen an körperlichen Merkmalen gleicht, in Nord-Europa, in einem grossen Theile des norddeutschen Tieflandes, und im Donau-Land. Es ist wahrscheinlich, dass auf diesem Boden, also auf Neuland, die weisse Rasse sich entwickelt hat, eine echt koloniale Rasse, begünstigt durch den weiten

Raum, die entfernte Lage, den jungfräulichen Boden und durch die Verbindung mit dem Südosten, wo die höchste Kultur in VorderAsien und Nord-Afrika aufblühte, deren erste Keime sich in derselben Zeit entfaltet haben mögen, in welcher Eis die Nordhälfte Europas bedeckte. Diese Verbindung wurde durch das Steppenland SüdostEuropas nach Inner-Asien und nach den Kaukasus-Ländern, durch die Balkan-Halbinsel nach Klein-Asien zu vermittelt.

Die Reinheit der Merkmale dieser Rasse zeigt, dass sie noch ferner von fremden Beimischungen sich entwickelt hat, als die helle Rasse, von der sie einen Zweig bildet. Aber indem sie nun nach Süden vordrang, begegnete sie älteren Völkern der hellen Rasse, die in um so grösserer Menge afrikanische Elemente aufgenommen hatten, je weiter südlich ihre Sitze lagen. Es entstanden Durchdringungen der älteren und jüngeren Glieder der hellen Rasse, deren Wirkungen wir in den allmählichen Übergängen der beiden in der Bevölkerung Europas sehen. Deren Rassen-Extreme liegen im Süden und Norden und sind dazwischen aber breit vermittelt. Für die Erklärung der afrikanischen Elemente in den süd- und westeuropäischen Gliedern der weissen Rasse muss die vielleicht erst in quartärer Zeit gelöste Verbindung Afrikas mit Europa herangezogen werden, und es muss erinnert werden an die alte Bewohnbarkeit der Sahara, wo damals statt eines Sandmeeres ein Völkermeer fluthen konnte.

Von der neolithischen Zeit an geht die Entwickelung in dem Europa vor sich, das wir vor uns sehen. Damit fängt die Geschichte an, an deren Fortsetzung wir heute weben. Dieselbe Kultur, deren Elemente uns in den ältesten neolithischen Gräbern und Pfahlbauten entgegentreten, ist auch unsere Kultur. Ein grosser Theil der Kulturgeschichte Europas ist die Verpflanzung orientalischer Keime auf europäischen Boden. Von der hohen Kultur im Südosten gehen mächtige Ströme nach Europa hinein und breiten sich hier aus. Europa ist durch Jahrtausende von Jahren ein Kolonialland für Vorder-Asien, zu dem es in voller kulturlicher Abhängigkeit steht.

Dabei war noch ein einziges mächtiges Hinderniss zu überwinden: der Wald. Ein grosser Theil der europäischen Kulturarbeit der letzten Jahrtausende ist ein Kampf mit dem Wald. Anfangs liegen die Wohnsitze der Menschen nur auf den Lichtungen, an Flussläufen, an Seen, als Pfahlbauten im Wasser. Der weissen Rasse ist dieser Kampf gelungen, sie hat aus dem Wald ein Kulturland gemacht; der hinter ihr in Ost-Europa wohnenden finnischugrischen ist es nicht gelungen, sie ist eine Familie von kulturarmen. Waldvölkern geblieben. In diesem Kampfe war eine andere Vegetationsform, die Steppe, der Bundesgenosse der weissen Rasse. In Europa liegen Steppen als Reste eines postglazialen Steppen

VII. Int. Geogr.-Kongr. Thl. II.

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landes. Grössere Steppen liegen hinter diesen. Bewegliche Hirtenvölker bewohnten diese Steppen. Einst gab es arische Nomaden, die auch geschichtlich nachzuweisen sind, und welche die Verbindung zwischen den europäischen und asiatischen Ariern aufrecht erhielten. Mit der Broncezeit erscheint das Pferd als Hausthier in Europa, damit Reitervölker. So verbindet sich mit dem an den Boden sich fesselnden Ackerbau das Hirtenleben; der Nomadismus wirkt als geschichtliche Unruhe, nomadische Völker dringen ein, bilden Staaten, wo es vorher nur Familienstämme gab. Und dabei muss man erwägen, dass hinter der beschränkten Steppe Europas die viel grösseren Steppen Asiens liegen, deren Völker nach Europa hindrängten und in Europa sitzen blieben. In der innigen Verbindung Europas mit dem Hirtenleben wandernder Völker in dem Steppenland am Pontus und Turans liegt eine der auszeichnenden Ausrüstungen Europas für eine höhere Entwickelung seiner Völker, besonders im Gegensatz zu Amerika und Australien.

Die Entwickelung der Bevölkerung Europas ist auch in der vorgeschichtlichen Zeit den allgemeinen Gesetzen der BevölkerungsEntwickelung unterworfen: mit der Kultur wächst die Volkszahl, und dieses Wachsthum bedingt eine steigende Mannigfaltigkeit der Arbeit, der Lebensweise, der Ernährung und der geographischen Vertheilung. Aus einem früheren Zustand, wo wenig zahlreiche Völkchen über weite Räume vertheilt sind, entwickelt sich ein anderer, in dem die Völkchen zu Völkern geworden sind, die wenig Raum mehr zwischen sich lassen. Die Räume füllen sich aus, und die Völker berühren sich. Damit steigert sich der Verkehr und alles, was kulturfördernde Wechselwirkung heisst. Zugleich wurzeln sich die Völker immer fester in ihrem Boden ein. Je dichter sie wohnen, um so schwerer finden es andere Völker, sie zu verdrängen oder auch nur zwischen ihnen durchzudringen. Der paläolithische Mammuth- und Rennthierjäger war heimathlos im Vergleich mit dem neolithischen Pfahlbauer. Selbst Gräber aus dieser Zeit gehören zu den grössten Seltenheiten. Und der Mann der Broncekultur war um so viel sesshafter, als sein Ackerbau entwickelter war. Den Hauptantheil an diesem Wachsthum hat sicherlich der Ackerbau in Verbindung mit jener sesshaften Viehzucht, deren Zeugnisse wir in den Pfahlbauten finden. Rohe Steingeräthe und geschliffene Steingeräthe mögen gut sein, um die paläolithische und neolithische (ältere und jüngere Stein-) Zeit zu unterscheiden; sie sind doch nicht viel mehr als Symbole wichtigerer und wirksamerer Unterschiede. Die palöolithische Zeit kennt den Ackerbau noch nicht, die neolithische betreibt ihn schon mit einer reichen. Auswahl von Kulturpflanzen und Hausthieren. Darin liegt das Wesentliche des Unterschiedes der beiden Hauptperioden der Vor

geschichte. Die paläolithische Zeit ist eine Zeit der Wilden ohne Geschichte in dem Sinne, wie wir Geschichte verstehen; die neolithische Zeit ist eine Zeit kulturlicher Entwickelung, die im Ganzen und Grossen stetig fortschreitet und noch andere Epochen hat als die, welche man nach geschliffenem Stein, Thonwaaren, Kupfer u. dergl. unterscheidet. Es gehört zu den bemerkenswerthesten Ergebnissen der vorgeschichtlichen Forschung, dass sie uns die Verdichtung der Bevölkerung und die damit Hand in Hand gehende geographische Differenzirung aufweisen kann. Wir sehen z. B., wie selbst die Alpen in der neolithischen Zeit in den Hauptthälern besiedelt sind, wie aber in der Broncezeit schon die innersten Thäler von Tirol bewohnt und die Alpwirthschaft in 2000 m Höhe betrieben wurde. Dabei war der Südabhang der Alpen schon damals bevölkerter als der Nordabhang, und im Innern des Gebirges wohnten ärmere Leute als in den grossen Thälern. In derselben Weise treten uns die grossen Länder als immer ausgesprochenere Individualitäten entgegen. Nördlich von den Alpen sind die Vorlande der Alpen und Ungarn Stätten hoher Entwickelung, im Norden tritt Skandinavien mit einer überraschenden Blüthe der Stein- und Broncekultur hervor. Man nimmt selbst merkliche Unterschiede zwischen benachbarten Pfahlbauten wahr, denen Arbeitstheilung und Besitzverschiedenheiten zu Grunde liegen. Immer mehr machen sich Unterschiede der Begabung der Völker geltend, wie denn die Blüthe der Stein- und Bronce-Industrie des Nordens durch äussere Verhältnisse allein nicht erklärt werden kann. Diese Differenzirung hat aber ihre Grenzen. Wir können voraussetzen, dass es damals in Mittel- und Nord-Europa Jäger, Fischer, Ackerbauer und Hirten gab, dass Gewerbe und Handel betrieben wurden. Aber wir finden keinen einzigen Rest einer Stadt oder eines Städtchens, eines Schlosses, eines gottesdienstlichen Baues, einer Strasse, einer Brücke. Und das in einer Zeit, wo in Vorder-Asien Weltstädte, riesige Paläste, Tempel und Pyramiden gebaut wurden. Europa nördlich der Alpen war ein städteloses Land; Dolmen und Steinpfeiler sind seine Baudenkmäler. Statt in ummauerten Städten suchte man Schutz in Pfahlbauten oder auf Bergen, die von Ringwällen umgeben wurden. Dadurch allein ist ein grosser unmittelbarer Verkehr mit den damaligen Trägern der vorderasiatischen Kultur ausgeschlossen. Europas Kultur ist nur eine Theilkultur. Europa hat niemals die ganze Kultur Babyloniens oder Ägyptens empfangen, sondern nur Theile davon, die sich leicht transportiren liessen und auch von Leuten niederer Lebenslage geschätzt wurden; besonders Waffen, Geräthe und Schmucksachen. Und auch das empfing Europa nicht aus erster Hand, sondern durch andere Völker, die den Verkehr vermittelten. Es mögen deren im Laufe dieser Jahrtausende umfassenden.

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