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Gruppe 1a. Mathematische Geographie, Geodäsie.

Neuere Fortschritte in der Erkenntniss der
mathematischen Erdgestalt.

Von Geh. Reg.-Rath Prof. Dr. F. R. Helmert (Potsdam).
(Vormittags-Sitzung vom 30. September.)

Nachdem die grossen Forscher Newton und Huygens vor zwei Jahrhunderten die Existenz der abgeplatteten Erdgestalt theoretisch erkannt hatten und nachdem dieselbe fünfzig Jahre später mit Sicherheit durch Gradmessungen nachgewiesen worden war, richteten sich lange Zeit hindurch die Bemühungen der Astronomen und Geodäten darauf, das abgeplattete Erd-Ellipsoid immer genauer zu bestimmen. Hierbei wurde in steigendem Maasse die Erfahrung gemacht, dass die mathematische Meeresfläche, oder wie wir jetzt sagen: das Geoid, überall mehr oder weniger Abweichungen von der Gestalt eines abgeplatteten Rotations-Ellipsoids zeigt. Den Einfluss dieser Störungen des Erd-Ellipsoids suchte man bei seiner Bestimmung durch Vermehrung der Anzahl der Gradmessungen und durch Vergrösserung ihrer Ausdehnung auszugleichen.

Für die bekannten Berechnungen des Erd-Ellipsoids in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts konnte bereits eine ziemliche Anzahl von Messungen angewandt werden. Besonders hervorzuheben unter diesen Berechnungen sind diejenigen von Everest und von Airy im Jahr 1830 sowie die Berechnung von Bessel 1837 und 1841. Bessel benutzte 10 Breitengradmessungen, die er zuvor einer scharfen Kritik unterzog. Im Übrigen stimmt sein Material mit dem von Airy benutzten nahezu überein, ebenso sind die Ergebnisse fast dieselben.

Auch die von Everest abgeleiteten Werthe für die Dimensionen und die Abplattung des Erd-Ellipsoids unterscheiden sich nur wenig von den Bessel'schen, obgleich Everest sich nur auf zwei Bogen, den französischen und den grösseren der beiden indischen Meridianbogen,

stützte. Die Übereinstimmung beruht darauf, dass der französische und der indische Meridianbogen damals die grösste Ausdehnung unter allen bekannten Meridianbogen besassen und dadurch das Ergebniss mehr als alle andern, meist sehr erheblich kleineren Bogen, beherrschten. Von geringem Einfluss sind ebensowohl die berühmten beiden älteren Meridianbogen von Peru und Lappland, wie die jüngeren von Dänemark, Hannover und Ost-Preussen; selbst der russische Meridianbogen, welcher damals erst 8° Ausdehnung hatte, konnte an dem Ergebniss aus dem französischen und indischen wenig ändern.

In der folgenden Zeit ragen die Berechnungen des englischen Colonel Clarke für das Erd-Ellipsoid hervor. Besonders haben seine Ellipsoide von 1866 und 1880, die sich wenig von einander unterscheiden, mehrfach Anwendung gefunden. Bemerkenswerth an denselben ist gegenüber Everest, Airy und Bessel die Vergrösserung sowohl der beiden Halbaxen der Meridian-Ellipse wie auch der Abplattung. Die grosse Halbaxe ist um rund 800 m, die kleine um rund 500 m gewachsen, die Abplattung von 1/299 auf 1293 gestiegen. Der Berechnung Clarke's von 1880 liegen zu Grunde die mittlerweile zu einem Ganzen von 22 Grad verschmolzene französische und englische Breitengradmessung, ferner die auf 25 Grad angewachsene russische Breitengradmessung und die indische, auf 24 Grad Ausdehnung gebrachte Breitengradmessung; ausserdem zog Clarke noch einige andere Messungen hinzu.

Nächst den Bestrebungen um die Erforschung des abgeplatteten Rotations-Ellipsoids finden sich eine Zeit lang Bemühungen, ein dreiaxiges Ellipsoid den Gradmessungen anzupassen. Hierzu gab den Anlass eine theoretische Untersuchung von Jacobi über die Gleichgewichtsfigur einer homogenen flüssigen, in Rotation befindlichen Masse. Bei genauerer Betrachtung schliesst aber diese Theorie gerade das dreiaxige Ellipsoid für die Erde aus, und so sind jene Rechnungen ohne dauerndes Resultat geblieben; selbst einen interpolatorischen Charakter kann man den Ergebnissen wegen Mangels an ausreichendem Beobachtungsmaterial nicht zusprechen.

Ganz dasselbe gilt für das nicht-elliptische RotationsSphäroid; nach einigen Versuchen wurde es wieder bei Seite gelassen. In der That entbehrt es wie ich nur kurz feststellen möchte ebenfalls der theoretischen Begründung, da bei einer gegenwärtig oder auch in früherer Zeit genau im hydrostatischen Gleichgewicht befindlichen Schichtung des Erdkörpers die Meeresfläche bis auf wenige Meter einem Rotations-Ellipsoid entsprechen würde und Abweichungen von dieser Schichtung doch wahrscheinlich in gleichem Maasse Rotationsfigur wie elliptische Gestalt stören würden.

So ist denn auch weit wichtiger die vor mehreren Decennien gestellte Frage geworden, welche Störungen der elliptischen Gestalt durch die gewaltigen centralasiatischen Gebirge und überhaupt durch den Gegensatz der kontinentalen Massen und des Oceans entstehen. Es war nicht unbemerkt geblieben, dass die Ergebnisse für die Figur der Erde sowohl bei Bessel wie bei Clarke in hohem Maasse von der indischen Breitengradmessung abhingen. Ohne diese Messung würden die andern von Bessel und von Clarke benutzten Bogen für die Abplattung nur ein Resultat von geringem Gewicht haben geben können. Die eigenthümliche Lage des indischen Meridianbogens auf einer Halbinsel südlich von den centralasiatischen Gebirgsmassen legte aber den Gedanken nahe, dass gerade hier beträchtliche Störungen der Lothrichtung vorkämen, sodass dadurch das Ergebniss für die Abplattung der Erde gänzlich in Frage gestellt sei.

Bekanntlich hat sich Pratt in den Jahren 1855-1871 eingehend mit der Untersuchung der Beträge dieser Lothstörungen beschäftigt. Seine Rechnungen gelangten aber erst dann zu plausiblen, mit den Beobachtungen harmonirenden Ergebnissen, als die inzwischen durch Schwerkraftmessungen im Himalaya erkannten unterirdischen Kompensationen der Gebirgsmassen berücksichtigt wurden. Immerhin sind dadurch die Bedenken nicht völlig beseitigt, welche den Ergebnissen für das Erd-Ellipsoid von Bessel und von Clarke infolge des Einflusses der indischen Breitengradmessung anhaften; denn einestheils ist die Art der Massenvertheilung und der Betrag der Kompensation noch keineswegs festgestellt, anderntheils bleiben selbst bei völliger Kompensation der sichtbaren Ungleichmässigkeiten in der Vertheilung der Massen immer noch Störungen in der Lothrichtung übrig, die sich allerdings mehr auf das Küstengebiet und die Nähe des Gebirgsabhangs beschränken, also weniger einen kontinentalen Charakter haben.

Wie sehr aber die indische Breitengradmessung auf die Ergebnisse der Rechnung einwirkte, kann man daraus erkennen, dass Bessel's und Clarke's Ellipsoide den grossen indischen Meridianbogen nahezu gleich gut darstellen.

Die Störungen, welche durch den Gegensatz der Kontinente und des Oceans entstehen, bilden den Gegenstand eingehender Untersuchungen von Stokes 1849, Philipp Fischer 1868 und Listing 1872 und 1878. In Deutschland sind besonders die Forschungen der beiden letztgenannten Gelehrten bekannt geworden. Diese gipfeln in der Lehre von einer Depression der Oceane im Vergleich zu einer mittleren, ausgleichenden Ellipsoidfläche. Die Lehre von der Depression der Oceane wurde scheinbar bestätigt durch die Erfahrungen über die Intensität der Schwerkraft, indem sich fand, dass auf den kleinen

oceanischen Inseln die Schwerkraft erheblich grösser ist, als unter sonst gleichen Umständen auf dem Festlande.

Die äussersten Konsequenzen dieser Lehre zog Listing.1) Namentlich mit Benutzung der Schweremessungen berechnete er Depressionen der Meeresfläche bis zu rund 1000 m. Innerhalb der Kontinente ergaben sich Elevationen von annähernd derselben Grössenordnung. Listing war der Störung der Meeresfläche durch die Kontinentalmassen so sicher, dass er verlangte, es müssten in Zukunft die astronomisch beobachteten Längen und Breiten für die Zwecke der Berechnung des Erd-Ellipsoids wegen der Anziehung der kontinentalen Massen korrigirt werden. Bis dahin hatte man höchstens die den astronomischen Stationen unmittelbar benachbarten Massen in Rechnung gezogen und auch dies wieder aufgegeben mit Rücksicht darauf, dass ja die Möglichkeit der Störung durch unterirdische Ungleichmässigkeiten der Massenvertheilung, von denen man damals allerdings noch wenig wusste, vorlag.

Durch nähere Betrachtung der obwaltenden Verhältnisse kam ich im Jahr 1884 zu der Anschauung, dass eine generelle Kompensation der Kontinentalmassen durch unterirdische Ungleichmässigkeiten der Massenvertheilung (sogenannte Massendefekte) sehr wahrscheinlich sei.2) Zunächst untersuchte ich näherungsweise die Störungen der Gestalt der Meeresfläche durch die Massen der aus dem Meeresboden aufsteigenden Kontinente und fand mit Rücksicht auf die den Störungsmassen entsprechenden Schwerpunkts-Verschiebungen des Gesammtsystems der Erde, dass die Höhenstörungen des Geoids erheblich kleiner sein müssten als man bisher angenommen hatte und rund 500 m nicht überschreiten könnten. Demnächst zeigte ich, dass in der That auch die von Listing aus den Schweremessungen geschlossenen Störungen der Meeresfläche auf unhaltbaren Formelansätzen beruhten. Endlich wies ich nach, dass auch die Schweremessungen die Voraussetzung der Kontinente als Störungsmassen nicht bestätigten, indem dann die Schwerkraft auf den Kontinenten erheblich grösser als auf dem Ocean sein müsste. Nun lagen zwar Messungen auf dem offenen Ocean nicht vor, aber doch wenigstens auf kleinen oceanischen Inseln; und diese ergaben nicht einen Fehlbetrag, sondern sogar einen Überschuss der Schwerkraft gegenüber dem Festland, also das Gegentheil von dem, was zu erwarten war. Jedoch hatte Herr Faye bereits 1880 darauf hingewiesen, dass die Schwerkraft auf den kleinen Inseln, um sie auf die Verhältnisse des offenen Oceans zu bringen,

1) Über unsere jetzige Kenntniss der Gestalt und Grösse der Erde (Nachdr. d. K. Ges. d. W. zu Göttingen, 1872, insbesondere S. 61). Neue geom. u. dynamische Konstanten des Erdkörpers (ebenda 1878). 2) Mathem. u. physikal. Theorieen d. höheren Geodäsie II, besonders S. 227, 355 u. 365.

wahrscheinlich einer Reduktion bedarf, und dass sie nach dementsprechender Verminderung um die Anziehung der Inselpfeiler im Allgemeinen mit den Schwerkraftswerten auf den Kontinenten (bei gehöriger Reduktion der letzteren) übereinstimme.1) Ich nahm daher mit Herrn Faye als wahrscheinlich an, dass die Kontinente im Grossen und Ganzen überhaupt keine Störungsmassen sind, indem eine generelle Kompensation der Kontinentalmassen durch unterirdische Ungleichmässigkeiten der Massenlagerung besteht, welche Ansicht wohl auch noch von anderer Seite, insbesondere von Stokes, ausgesprochen worden ist. Unter diesen Umständen würden die Höhenstörungen des Geoids nur Bruchtheile von + 500 m betragen, hauptsächlich in Folge von Mängeln der Kompensation.

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Volle Sicherheit und Klarheit war indessen durch diese Untersuchungen nicht erlangt, und wenn auch die Festigkeitsverhältnisse des Erdkörpers zu Gunsten der gewonnenen Anschauung sprachen, so bildete und bildet noch immer die Frage: Was bringt der Gegensatz von Festland und Meer für eine Wirkung auf die Gestalt der Meeresfläche hervor?" ein Hauptthema der Erdmessung. Die Entscheidung dieser Frage muss selbstverständlich den BeobachtungsErgebnissen der Erdmessung zufallen, und zwar zur Zeit hauptsächlich den grossen Gradmessungen. Wenn auch die in neuerer Zeit sehr in Aufnahme gekommenen Schwerkraftmessungen schöne Ergebnisse aufweisen, so liegen diese doch wesentlich auf einem. andern Gebiete, nämlich dem der Erkenntniss der regionalen. Störungen in der Massenvertheilung der Erdkruste, aber nicht der kontinentalen.

In Bezug auf diese letzten, die kontinentalen Störungen, hat nur die Nansen'sche Polarfahrt einen, allerdings äusserst wichtigen, Beitrag geliefert, indem es ihr gelang, die Intensität der Schwerkraft im Eismeer bei festgefrorenem Schiff zweimal bei 3 km Meerestiefe (in 84o und 86°nördlicher Breite) zu messen. Beobachter war Leutnant Scott Hansen. Soviel mir bis jetzt bekannt ist (die Zahlen sind noch nicht veröffentlicht), zeigt die Schwerkraft an diesen beiden Stellen keinerlei Abnormität 2), sodass für diesen Fall sich die vermuthete Kompensation der Kontinentalmassen bestätigt. Für die überwiegenden Theile des Weltmeeres, welche nicht zufrieren, ist vorläufig noch

1) C. R. Bd. 90, S. 1444; vergl. auch Bd. 96 (1883), S. 1259.

2) Wenn sich die Schwerkraft im Eismeer normal fand, so gilt dies allerdings nur in Bezug auf meine Formel für g von 1884. Die kontinentalen Schwerkraftswerthe im hohen Norden weichen nun von der genannten Formel theils nach der positiven, theils nach der negativen Seite ab, vorherrschend aber etwas nach der ersteren (soweit ich das jetzt beurtheilen kann). Dies würde mit der weiterhin besprochenen Erfahrung auf Grund der Gradmessungen, dass der europäische Kontinent unterirdisch nicht völlig kompensirt ist, übereinstimmen.

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