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zusammenfassenden Darstellung grösserer Länderabschnitte, es fehlt an einer historischen Geographie von Deutschland, einer systematischen Behandlung derselben für verschiedene Zeitpunkte der Geschichte in der Form, wie sie vorhin angedeutet wurde.

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Noch einen Berührungspunkt haben Geographie und Geschichte. Die Geschichte kann direkt in den Dienst der Geographie treten, speciell der physischen Geographie, indem sie dieser ein Material zuführt, welches nur aus historischen Quellen gewonnen werden kann.

Wenn die physische Geographie untersucht, wie die Landoberfläche im Verlauf der letzten geologischen Epochen sich entwickelt und ihr heutiges Aussehen bekommen hat, so ist sie hierbei vielfach auf Spekulationen angewiesen, indem sie auf Grund der eigenartigen geognostischen Beschaffenheit des Bodens Rückschlüsse auf die muthmasslich stattgehabten Veränderungen und Katastrophen zieht. Solche Veränderungen haben sich nicht nur in geologischer, sondern auch in historischer Zeit unter den Augen des Menschen abgespielt, wie die historischen Annalen uns melden. Am schnellsten vollziehen sich solche Veränderungen da, wo das Land in Berührung mit dem Meere steht, also an der Küste. Welche gewaltigen Eingriffe das Meer in das Land gethan hat, zeigt die Geschichte unserer NordseeKüste, die erst in historischer Zeit die gegenwärtige Gestalt angenommen hat. Umgekehrt haben Alluvial-Anschwemmungen weniger Jahrhunderte den Landkörper vergrössert, und blühende Hafenstädte sind zu einfachen Landstädten degradirt worden, Kilometer weit vom Strande entfernt. Das Vorrücken des Meeres bzw. des Landes lässt sich in seinen Phasen deutlich nachweisen und quellenmässig belegen.

Aber auch im Inneren des Landes sind tiefgreifende Veränderungen zu beobachten, im Gebirge nicht minder als im Flachlande. Hier sind es z. B. die Flüsse, die innerhalb der historischen Zeit ihren Lauf mehrfach geändert haben, häufig derartig, dass Siedelungen, die vorher auf dem rechten Ufer lagen, durch eine natürliche Flussverlegung auf das linke Ufer geriethen. Im Rhein-, Oder- und Donau-Gebiet lassen sich solche Fälle mehrfach nachweisen.

Anderseits haben Flussüberschwemmungen oft genug die Uferlandschaften gefährdet und in ihrem Bestande geändert. Die Geschichte meldet gerade von ihnen besonders häufig, weil sie vorzugsweise die wirthschaftlichen Verhältnisse berührten. Ganze Seen sind durch die Alluvionen der Flüsse bedeutend eingeengt, zuweilen auch ganz zugeschüttet worden. Im Gebirge sind solche Veränderungen noch viel häufiger zu beobachten, wo überdies Bergstürze, Gletscherstürze viel Kulturland verschütteten, Seen aufstauten u. s. w. Vulkanische Erscheinungen, und noch mehr seismische Katastrophen verdienen. hier ebenfalls Berücksichtigung. So dürfte die Reihe der bisher

VII. Int. Geogr.-Kongr. Thl. II.

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bekannt gewordenen Erdbeben von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart um eine stattliche Anzahl vermehrt werden können, wenn die historischen Quellen daraufhin systematisch abgesucht würden. — Kurz, es findet sich in diesen Quellen eine Fülle von Material, welches dem Geographen von grösstem Werth sein muss. Neben einigen Specialarbeiten sei hier besonders an das jetzt allerdings veraltete, fünfbändige Werk Karl von Hoff's erinnert: „Geschichte der durch Überlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche", ein Werk, welches sich, wie der Titel besagt, gerade an die geschichtliche Quelle hält.

Ich möchte die Forschung nach dieser Richtung hin vom Arbeitsgebiet des historischen Geographen nicht ausgeschlossen wissen; denn einmal wird dieser auf Grund seiner Studien sehr viel leichter alles einschlägige Material zusammenfinden und sammeln können, als der physische Geograph, sodann aber ist die Kenntniss der natürlichen Veränderungen für den historischen Geographen selbst von grösster Bedeutung; denn jene vulkanischen und seismischen. Katastrophen mit ihren furchtbaren Verheerungen, jene Überschwemmungen und Sturmfluthen der geschichtlichen Zeit griffen besonders tief in das Kulturleben des Menschen ein, ja sie zwangen ihn zu besonderen Maassnahmen, um sich gegen diese Einflüsse zu schützen.

Hier ist also die Wechselwirkung zwischen Natur und Menschheit eine handgreifliche und erfordert deshalb in einer länderkundlichen Darstellung zurückliegender Zeiten eine besondere Beachtung. Zu bemerken ist freilich, dass diese historische Geographie sich nur auf Länder und Völker beschränkt, die wirklich eine Geschichte, d. h. geschichtliche Aufzeichnungen haben, -- ferner, dass die Quellen zu einer solchen nicht alle gleichmässig reichlich für die einzelnen Jahrhunderte fliessen.

Meine Absicht war es hier nur, die Stellung dieser historischen Geographie gegenüber der Geschichtswissenschaft zu kennzeichnen und zwar auf Grund der Aufgaben, die ich jener zugewiesen wissen möchte, -Aufgaben, die einen rein geographischen Charakter haben und eine entsprechend methodische Behandlung verlangen.

(Diskussion s. Theil I., Nachmittags-Sitzung vom 29. September, Abthlg. C.)

Gruppe VII. Methodologie, Geogr. Unterricht u. s. w.

Die Lage im Mittelpunkt des geographischen
Unterrichtes.

Von Geh. Hofrath Prof. Dr. Friedrich Ratzel (Leipzig).

(Nachmittags-Sitzung vom 29. September, Abthlg. C.)

In welchem Sinne und zu welchem Zwecke man geographische Bildung fordert, immer muss ihre Grundlage die Kenntniss der geographischen Lage sein. Die Lage von Ländern, Inseln, Städten, Bergen, Flüssen will schon der elementare Unterricht lehren. Die ersten Fragen dieses Unterrichtes beginnen alle mit Wo? Wo liegt dein Haus? und Wo schwebt die Erde im Weltraum? sind der Anfang und das Ende einer Kette von geographischen Fragen, deren Antwort man das Skelett des geographischen Wissens nennen könnte. Denn was nützt mir die Kenntniss der Gesetze der geographischen Erscheinungen, wenn ich nicht weiss, wo diese Erscheinungen sind? So wie das Wo? am Anfang des geographischen Unterrichtes steht, finden wir es auch im Anfang der geographischen Wissenschaft. Noch ehe die Gestalt und die Grösse der Erde in Frage kam, regte sich das Bedürfniss, ihre Lage im Weltraum zu erkennen. bild der jonischen Philosophen-Geographen wollte vor Allem den Rahmen zur Eintragung der Lage der Länder, Meere und Orte bieten, die im Gesichtskreis der damaligen Griechen waren. Und ist nicht das Hauptziel der modernen Karte dasselbe? Begründet auf genaue Bestimmung der Lage der tausend Punkte und Linien, die sie uns zeigt, hängt ihre Güte von der Lageangabe ab. Und das ist nicht blos so in dem Auge des Geographen, sondern auch für alle Zwecke der Statistik, Geschichte, Geologie u. s. w. ist es immer am wichtigsten, dass die Karte genau zeigt, wo die Dinge liegen. Natürlich will und muss ja die Karte noch viel mehr geben als die Lage. Aber das ist eben bezeichnend für die grosse Bedeutung der geographischen Lage, dass die Karte allen anderen Zwecken am Besten gerecht wird, wenn sie die Lage gut wiedergiebt. Damit ist nämlich auch immer die wichtige

Wiedergabe der Gestalt und Grösse eines Landes gesichert; denn beide werden dargestellt durch unzählige Punkte, deren richtige Lage die richtige Ausdehnung und Begrenzung des Raumes angiebt.

Wenn also die Karte selbstverständlich die beste Zeichnung der geographischen Lage ist, so ist die Schilderung der Lage in den geographischen Büchern leider nicht immer ebenso selbstverständlich. Gerade die Lage gehört zu den geographischen Erscheinungen, die man der Karte überlässt. In vielen von unseren Lehr- und Handbüchern der Geographie ist die Lage der Länder und noch viel mehr die der Städte vernachlässigt. Viele verfahren nach dem bekannten Schema, dass sie gleich hinter den Namen eines Landes seine Grösse und seine Bewohnerzahl setzen, worauf eine kurze Schilderung des Naturcharakters folgt, an die sich dann gleich die Beschreibung nach Provinzen oder Kreisen anschliesst. Infolge dessen geht dann auch im Unterricht gerade das Belebende verloren, das in der beziehungsreichsten aller geographischen Eigenschaften liegt. Es ist die alte Neigung des geographischen Unterrichtes, unorganisch zu werden. Wenn ich eine solche Beschreibung leblos, ja seelenlos nenne, so wird man das nach dem Vorgesagten vielleicht nicht übertrieben finden. Ist doch gerade das vergessen, was die bunten Einzelheiten zu einem Ganzen verbindet. Die natürliche Verbindung dieser Einzelheiten nach ihrer geographischen Lage und durch ihre geographische Lage in unserem Geiste neuzuschaffen als ein geistiges Band der in das Gedächtnis aufzunehmenden geographischen Thatsachen, das möchte ich als das Wesen und den Kern des geographischen Unterrichtes betrachten.

Welcher Lehrer der Geographie macht nicht seine Erfahrungen über die Unsicherheit der jungen Geographen in dieser grössten und zugleich nächstliegenden und greifbarsten geographischen Eigenschaft, in der Lage? Frage ich nach der geographischen Lage von Griechenland, so erhalte ich die verschiedensten Antworten: Griechenland liegt im Mittelmeer, oder Griechenland liegt auf der Balkan-Halbinsel, oder Griechenland liegt östlich von Italien und westlich von der Türkei. Das Grösste, was vor allem Anderen ausgesprochen werden sollte, wird übersehen: die Lage auf der Erdkugel, in der Zone, zu den Erdtheilen und Meeren. Man kann von Griechenland nichts Grösseres sagen als: es liegt am äussersten Südostrand Europas, im östlichen Mittelmeer gegen Asien zu. Damit ist sein Klima, seine kulturliche Übergangs- und Vermittlerstellung, aber auch sein politisches Verhängniss bezeichnet. Es wären viele Missverständnisse über die Weltstellung Griechenlands vermieden worden, wenn man diese Lage erwogen hätte, die keine rein europäische mehr, sondern eine europäischasiatische Zwischenlage ist.

Wenn die Aussagen über die geographische Lage eine einfache, klare Vorstellung geben sollen, müssen sie unter den zahlreichen Lageverhältnissen, die jeder Ort hat, auswählen, und bei der Auswahl klassificiren. Am einfachsten geschieht die Klassifikation so, dass sie einengend vorgeht, vom Grossen zum Kleinen herabsteigt. Wenn ich an die Lage eines Landes denke, so durchwandere ich gleichsam konzentrische Kreise, die immer enger werden: die Hemisphäre, die Zone, der Erdtheil, das Meer, die Küste, das Nachbarland fliegen an meinem geistigen Auge vorüber. Und wenn ich von der Lage eines Ortes spreche, steige ich zu noch engeren Räumen herab, bis ich endlich bei einem Punkt auf der Landkarte angekommen bin. Wie ein Raubvogel, der auf Beute stösst, habe ich immer engere Kreise beschrieben und nähere mich meinem Ziele gleichsam in einer Spirale. Ich höre den Namen Denver; die Vorstellungen, die er hervorruft, sind: Westliche Halbkugel, Nord-Amerika, Ostfuss des Felsengebirges, Colorado, Platte-Fluss. Vielleicht ziehe ich auch noch den 40. Breitegrad mit zur Orientirung heran. Ich höre den Namen Kobdo, welcher die Vorstellungen Osthalbkugel, Asien, Inner-Asien, nördliches Randgebirge, Parallel von Urga hervorruft. Das ist so, wie wenn der Botaniker den Namen Rose mit den Phanorogamen, den Rosaceen und endlich der Gattung Rosa verbindet. Es ist nothwendig, dass diese klassifikatorischen Aussagen in naturgemässer Folge, vom Umfassenden zum Engeren, herabsteigend, sich aneinanderreihen. Hemisphäre, Zone, Erdtheil, Meer sind selbstverständlich in ihrer Aufeinanderfolge. Wie andere Lageverhältnisse aufeinanderfolgen, haben physikalisch-geographische und anthropogeographische Erwägungen zu bestimmen. Auch hier sollte man nichts der Willkür und dem Zufall überlassen. Viele halten es für hinreichend, zu wissen, dass Paris an der Seine liegt. In Wirklichkeit ist es aber doch wichtiger, dass Paris an dem Zusammenfluss der Marne und der Seine liegt, und noch wichtiger, dass es mitten im Pariser Becken liegt. Denn aus der Lage an einer tiefen Stelle des Pariser Beckens folgt ja, dass die beiden grossen Flüsse sich hier vereinigen und dass in geringer Entfernung auch noch die Oise einmündet.

Wenn wir Frankreich das westlichste mitteleuropäische Land nennen, das von den Alpen zur Nordsee zieht, und zugleich am Nordrand des Mittelmeeres liegt, so glauben wir Wesentlicheres gesagt zu haben als mit sonst beliebten Angaben, wie: Frankreich liegt zwischen dem Rhein und dem Ocean, zwischen Pyrenäen und Nordsee, oder: Frankreich ist ein Glied der lateinischen Staatengruppe oder: Frankreich ist ein westeuropäisches Land. Im Allgemeinen werden die natürlichen Lagemerkmale den geschichtlichen oder ethnographischen vorangehen. Die Vorstellungen vereinfachen sich von selbst, wenn

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