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sten andern Ländern des neueren Europa, die Phis lologen ausgenommen, von den Dichtern und schd: nen Geistern trennten, ist im vorigen Buche erzählt worden. Da die herrschende Tendenz des litteras rischen Geschmacks der Franzosen von jeher mehr rhetorisch, als poetisch, war, so wurde selbst durch die Werke der Dichter und schönen Geister in Frankreich die elegante Form der Wissenschaften vorbereitet. Auch in Versen möchten die Franzosent immer gern råsonniren. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Ludwig's XIV. hatte besonders Fontenelle ein verführerisches Beispiel von oberflächs licher Polyhistorie gegeben, durch die man sich mit » vieler Artigkeit als Gelehrter, Philosoph und schöner Geist zu gleicher Zeit geltend machen konnte, wenn das Publicum sich für eine solche Art, belehrt und amüsirt zu werden, mit einiger Vorliebe interessirte. Das französische Publicum fand in Fontenelle seinen Mann. Tiefer, als Fontenelle, in einen Gegens stand eindringen, hieß nün bald, eine geschmacklose Metaphysik und Erudition wieder einführen wollen, vor welcher der Mann von guter Lebensart floh, wie vor einer ansteckenden Krankheit. Unter diesen Einflüssen der Geschmackscultur hätten die Wissenschaften in Frankreich zu Grunde gehen müß? sen, wenn nicht der wissenschaftliche Geist einigee vorzüglichen Köpfe sich glücklicherweise noch einiger Fächer bemächtigt hätte, in denen sie durch Schön. heit des Styls sich auszeichnen konnten, ohne das Interesse der Wissenschaften selbst über den Reizen einer angenehmen Unterhaltung zu vernachlässigen. Unter diesen vorzüglichen Köpfen sind besonders Montesquieu und Büffon unvergeßlich. Mons tesquieu gab der Politik, Büffon den Naturwissens Schafs

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schaften eine rhetorische Form, in der sie mit wif; senschaftlicher Würde glänzen konnten. Die Politik und die Naturwissenschaften schienen nun auf ein Mal dem Geiste der französischen Nation fast noch angemessener, als die leichten Spiele des Wikes. Besonders wurden seit dieser Zeit die Naturwissens schaften in Frankreich mit einem Eifer cultivirt, wie kaum in irgend einem andern Lande. Die

Mathematik hob sich neben der Physik und Chemie. Die Akademie der Wissenschaften zu Paris erhielt von Jahre zu Jahre mehr Mitglieder, auf welche jede Nation stolz seyn könnte, während aus der französischen Akademie der Sprache und schönen Nationallitteratur nur noch Weniges hervorging, um welches andere Nationen die Franzosen zu bes neiden Ursache hätten.

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Der Eifer, mit dem die Franzosen um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die. Naturwiss senschaften und die Mathematik zu cultiviren anfins gen, war zu verständig, als daß man einem schönen Geiste, der, wie Fontenelle, nur den Schaum von dem Wissenswürdigen abschöpfte, die Ehre hätte erweisen können, ihn zu den Naturforschern und Mathematikern zu zählen. Die schönen Geister selbst sahen wohl ein, daß man ihrer in diesem Felde nicht bedurfte. Sie wollten auch nur bei Gelegenheit zeigen, daß sie in dem neuen Modes studium nicht ganz zurückgeblieben waren. In dies sem Sinne trug Voltaire dem ungelehrten Theile des Publicums die ersten Wahrheiten der Physik und Astronomie nach Newton's Grundsäßen vor. In der Politik hatte der belletristische Wiß, der sich in die exacten Wissenschaften nur von weitem

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mischen durfte, schon freieren Spielraum. Besonr ders aber schien die Philosophie, oder was man in Frankreich so nannte, den schönen Geistern über. lassen werden zu müssen, um durch sie, von allem alten und neueren Schulstaube gesäubert, so elegant, ́als möglich, und faßlich für jedermann (à la portée de tout le monde), in die gute Gesellschaft eingeführt zu werden.

Ohne Kenntniß der französischen Philosor phie, deren Celebrität um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts anfängt, kann man weder den neuen Charakter, den ein Theil der schönen Litteratur in Frankreich seit dieser Zeit annahm, noch den Streit der beiden Parteien verstehen, in welche die schönen Geister zerfielen. Die Philosophie, die sich sett Dieser Zeit in Frankreich die gesunde nennt, ist ein Kind der raffinirten Sinnlichkeit, nicht der wahren, auf das Höchste in den Bestrebungen des denkenden Geistes gerichteten Meditation. Schon im siebzehnten Jahrhundert hatte sich, wie auch im vorigen Buche erzählt worden, diese Philosophie neben der cartesianischen und der Philosovhie des Pater, Malebranche, in den Zirkeln der geistreichen Wollüftlinge gebildet, unter denen St. Evremond und nach ihm Chaulieu die merkwürdigsten find 3). Damals aber konnte sie noch keine Epoche in der französischen Litteratur machen, weil die schönen Geister, die sich zu dieser angenehmen Philosophie bekannten, von berühmteren Dichtern und beredten Schriftstellern verdunkelt wurden, die entweder gar nicht philosophiren mochten, oder, nach dem Beis

a) Vergl. oben, S. 122.

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spiele des Königs, ernsthaft und mit religiöser Ehr: furcht ihre Gedanken dem Glauben der Kirche unters werfen. Die Freigeisterei regte sich zu jener Zeit nur wie eine zufällige Erscheinung in der schönen Lit: teratur der Franzosen; sie herrschte nicht; sie gab im Publicum kein besonderes Ansehen; und ein Philosoph in dem Sinne des Worts zu seyn, wie. St. Evremond, die schöne Niñon de l'Enclos, und Der Abbé Chaulieu es waren, gehörte im Jahrs hundert Ludwig's XIV. noch nicht zu den glänzenden Eigenschaften eines schönen Geistes. Aber die Res gentschaft des Herzogs von Orleans, der selbst eine Art von Philosophie mit seiner libertinischen lebens, art zu verbinden suchte und deßwegen den `religiösen Fenelon um philosophische Beweise des Daseyns Gottes befragte, kam den schönen Geistern, die zugleich starke Geister seyn wollten, sehr erwünscht. Dieß war die Zeit, da Voltaire von Chaulieu In die Geheimnisse jener Philosophie eingeweihet wurde, die den Sinnen schmeichelt, die Vernunft durch ihre flüchtige, und doch nur natürlich scheis nende Art, ohne alle Anstrengung, wie im Spiele, zu råsonniren, besticht, und eben deßwegen die wahre Philosophie des gesunden Menschenverstandes zu seyn scheint, weil sie Alles, was sich nicht auf der Stelle begreifen, oder durch ein Experiment beweisen läßt, in die große Masse der Vorurtheile wirft. Es traf sich, daß gerade um dieselbe Zeit die systematische Philosophie des Englanders Locke in Frankreich bekannt und beliebt zu werden anfing. Aber Locke's Erklärung des Ursprungs der menschs lichen Erkenntnisse schien den französischen Philosos phen, die den Sinnen nicht Ehre genug erzeigen zu können glaubten, noch viel zu sehr mit Vorurtheilen

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beladen. Unter Condillac's fleißiger Bearbeis tung mußte sich der Lockische Empirismus, der doch noch dem inneren Sinne Gerechtigkeit widerfahren läßt, in einen eigentlichen Sensualismus verwandeln, der auch den innern Sinn und mit ihm alle mensch liche Erkenntniß aus der organischen Entwickelung Der äußeren Sinne deducirt. Von Condillac's Sins nenlehre bis zu dem vollendeten Materialismus der sogenannten Encyklopå disten war nur ein Schritt. Alle diese Systeme gingen die schöne Litteratur unmits telbar gar nichts an. Aber sie stimmten zufälligers weise in mehreren ihrer Resultate mit den Grunds fäßen der schönen Geister aus der Schule, in wels cher Voltaire sich gebildet hatte, überein. Diese schönen Geister benußten also bei ihrem flüchtigen Råsonniren die Systeme, an denen sie selbst keinen Antheil hatten. Die systematischen Köpfe näherten sich dafür wieder, so weit sie konnten, den schönen Geistern. Condillac wurde Mitglied der französischen Akademie. Diderot schrieb philosophische Abhandlungen, Schauspiele, Romane. Auch Helvetius machte Verse, so gut er konnte. Jean Jacques Rousseau, der gar kein Talent zur Verskunst hatte und eine edlere Philosophte, als die Encyklopädisten, Lehren wollte, war ungefähr in gleichem Grade Dichs ter und Philosoph. Die ganze Schule der Encyklo pädisten gab ihren philosophischen Werken einen bels letristischen Austrich. Um so leichter konnte Voltaire mit seiner frivolen Verspottung religiöser und philosos phischer Meinungen, die ihm Vorurtheile zu seyn schie nen, zugleich als Philosoph und als Dichter glänzen.

Bei einer solchen Mischung der Philosophie mit der Poesie mußte der schwache Funke des poetischen

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