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Enthusiasmus, der noch in der französischen Litteratur glimnite, fast ganz erlöschen. An seine Stelle trat ein rühmlicher Eifer für Wahrheit und ges sunde Vernunft. Nach den theoretischen Be griffen, die man längst in Frankreich von dem Wesen und Rußen der Poesie hatte, konnte man um so eher glauben, den wahren Zweck der schönen Redekunst in Versen, wie in Prose, zu erreichen, wenn man durch die angenehmste Unterhaltung für die Aufklås rung der Köpfe und die Besserung der Herzen forgte. Je verdorbener die Sitten wurden, desto mehr schien die Tugend in der schönen Litteratur von ihrer anziehendsten Seite dargestellt und auf das nachdrücklichste empfohlen werden zu müssen. Moras lische Rührung schien, nebst der schönen Einkleidung nüßlicher Wahrheiten, das Beste in der ernsthaften Poesie zu seyn. Mit dem Tugendeifer der schönen Geister stand denn freilich die Frivolitåt einiger der berühmtesten unter ihnen in sonderbarem Widerstreite. Aber so wollte es der Geist des Zeitalters. Auch schaamlose Gedichte und Romane sollten Aufklärung verbreiten und Tugend lehren.

Nicht alle Dichter und schönen Geister in Franks reich waren indessen über den neuen Geist, der in die schöne Litteratur eindrang, derselben Meinung. Die alte Partei, in welcher noch der Geist des Jahrhunderts Ludwig's XIV., wenigstens einigerma: Ben, fortlebte, haßte e sogenannten Philosophen. Voltaire selbst, mit dessen Nahmen man dieses Zeits alter der französischen Litteratur am kürzesten bezeich; nen kann, vereinigte gleichsam beide Parteien in sich. Sein Geschmack hing unverkennbar an dem Jahrhuns dert Ludwig's XIV., während sein Verstand einer

ganz

ganz andern Richtung folgte. Wer nur durch Vols taire auf den Weg der französischen Philosophie ges führt war, konute immer noch im Falle der Noth, ohne ein Wunder der göttlichen Gnade in sich zu erleben, ungefähr so, wie der feine Kritiker La Harpe, aus einem starken Geiste ein so frommer Mann werden, wie Racine es gewesen war.

4. Die Litteratur anderer Nationen hatte auf die französische nicht viel mehr Einfluß in dieser Periode, als in der vorigen. Einige Dichs ter und beredte Schriftsteller in Frankreich leruten Englisch. Einige englische Dichterwerke, die dem französischen Geschmacke am angemessensten schienen, zum Beispiel Pope's Versuch über den Menschen, und nachher mehrere Romane, wurden in das Frans zösische übersetzt. Sogar Shakespear wurde in Frankreich bekannt. Aber für die Größe Shafes spear's, der selbst in seinen Verirrungen bewundernss würdig bleibt, war der französische Geschmack so unempfänglich, daß Voltaire sich ungestraft an dies sem herrlichen Geiste versündigen durfte, als er, um ihn lächerlich zu machen, eine platte Uebers sehung der ersten Acte des Julius Cåsar von Sha: kespear in der neuen Ausgabe des Corneille zur Schau ausstellte. In den neuesten Zeiten hat man in Frankreich auch von einigen deutschen Dichtern und Schriftstellern Notiz genommen; aber von einer Veränderung, die dadurch im Nationalge: schmack, oder in der Gesetzgebung des Geschmacks der Franzosen, bewirkt wäre, ist nicht die Rede gewesen.

Zweites Capitel.

Geschichte der Veränderungen, die durch Voltaire, Jean Jacques Rousseau, und die Encyklopädisten in der schönen Litteratur der Franzosen be wirkt worden.

Ma

an fann nicht wohl eine pragmatische Ueber sicht der merkwürdigsten Veränderungen ges winnen, die sich in der schönen Litteratur der Frans zosen nach dem Jahrhundert Ludwig's XIV. ereignet haben, wenn man nicht von den Werken Voltaire's, Jean Jacques Rousseau's, und der berühmtesten so genannten Encyklopädisten ausgeht. Denn so, wie diese merkwürdigen Männer, hat keiner ihrer Zeitgenossen in Frankreich auf die Litteratur gewirkt. In ihren Werken findet man alle Grundzüge des neuen Charakters der französischen Poesie und Bes redsamkeit beisammen.

Voltaire.

Die Geschichte Voltaire's ist zum Theil so allgemein bekannt, und doch zum Theil noch unter so vielen Widersprüchen versteckt, daß hier nur eine kurze Erwähnung einiger der merkwürdigsten Bes gebenheiten seines Lebens, und nur in sofern Plak finden kann, als diese Begebenheiten mit der Ents wickelung seines litterarischen Charakers in ges nauerer Verbindung stehen.

Marie François Arouet de Voltaire war zu Paris im Jahre 1694, also noch im eis gentlichen Jahrhundert Ludwig's XIV., geboren. Das Glück gewährte ihm alle Vortheile einer libes ralen Erziehung. Sein Vater, der Schahmeister bei der Rechnungskammer (trésorier de la chambre des comptes) wat, ließ ihn die Jesuiten : Schule besuchen. Wie viel er dort gelernt, wird von seis nen Biographen nicht angemerkt. Doch sollen die Jesuiten voraus gesagt haben, was aus dem jungen Arouet werden würde. In eine andere Art von Schule, bei der Ninon de l'Enclos, wurde er von seinem Pathen, dem Abbé de Chateauneuf, einges führt. Da lernte er Chaulieu, la Fare, und mit ihnen die Grundsäße des elegantesten und geistreich: ften Epikureismus kennen. Da erhielt er die erste Richtung zur kühnen Freidenkerei. Der Vater des jungen Urouet protestirte vergebens gegen diese fets vole Bildung seines Sohnes, aus dem er einen rechtlichen Geschäftsmann machen wollte. Ninon selbst soll in ihrem Testamente dem jungen Manne eine Summe Geldes vermacht haben, damit er Bús cher genug nach seinem und ihrem Geschmacke faus fen könnte. Es zeigte sich bald, wozu ihn die Natur bestimmt hatte. Voltaire war geboren, ein Dichter, aber ganz im französischen Sinne des Worts, zu werden. Durch Epigramme und Satyren soll sich sein feckes Genie zuerst angekündigt haben. Aber Kleinigkeiten genügten dem ehrgeizigen Jünglinge nicht. Sein heller Verstand ließ ihn bald gewahr werden, wie er sich unter den Dichtern seiner Nation einen der ersten Pläße erwerben und ein Liebling des Publicums werden könnte. In der tragischen Kunst fortzufahren, wo Corneille und Racine aufgehört

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hatten; durch ein episches Nationalgedicht die große Lücke auszufüllen, die das Jah hundert Ludwig's XIV. in der schönen Litteratur der Franzosen offen gelassen hatte; nebenher durch frivole Spiele des Wißes seine Vorgänger zu übertreffen; aber auch als Philosoph und Gelehrter heller noch, als Fons tenelle, ju glänzen, und, wo möglich, sich der gans zen Litteratur zu bemächtigen; das waren die Plane, mit denen Voltaire seine litterarische Laufbahn antrat. Indessen jog er sich vorläufig, schon im Jahre 1716, als er erst zwei und zwanzig Jahr alt war, durch eine satyrische Darstellung der lehren Regierungsjahre Ludwig's XIV., die ihm wenigstens zugeschrieben wurde, eine kurze Gefangenschaft in der Bastille zu. In diesem Staatsgefängnisse soll er schon an der Henriade gearbeitet haben. Bald nach seiner Befreiung, im Jahre 1718, erhielt sein Trauerspiel Oedipus den Preis bei der franjóh. schen Akademie. Nun fing die Periode seiner Ces lebritat an. Abwechselnd in der großen und üppis gen Welt und unter seinen Papieren lebend, arbeitete Boltaire eben so rasch, als unermüdet, an seinem Glück und an seinem Ruhm. Schon im Jahre 1723 wurde die Henriade gedruckt, die in dieser ersten u Ausgabe noch das Gedicht von der Ligue (Le Poéme de la Ligue) beißt. Im Jahre darauf erschien wieder ein Trauerspiel von Voltaire. Aber auch mit der Polizei kam er wieder in Collision. Er wurde zum zweiten Male in die Bastille geseßt, nach sechs Monaten entlassen, und aus der Stadt Paris verwiesen. Voltaire flüchtete sich nach England, und fuhr von dort aus fort, Trauerspiele für das Französische Theater zu liefern. Seine Abhandlung, die er in englischer Sprache über das Heldengedicht geschries

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