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standen, wenigstens im Aeußeren der gebildeten Welt behaupten mußte. Aber schon in den Ritterzeiten war die französische Galanterie mehr geistreich, als schwärmerisch, gewesen. Schon damals hatten sich auch die echt französischen Nationaldichter in den Zirkeln von Herren und Damen fast immer nur durch unterhaltenden Verstand und Wiß, selten durch Ges fühl und poetische Phantasie, und fast nie durch ros mantische Ekstasen, wie die Dichter der Spanier und Portugiesen in ihrem Vaterlande, empfohlen *). Gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bils dete sich in der eleganten Welt zu Paris eine libers tinische Lebensphilosophie, die der französï» schen Sinnesart so angemessen war, daß nun die altromantische Schwärmerei bald in allen guten Gesellschaften lächerlich wurde, außer, wo man eine pretisse Sentimentalität und Moralität affectirte, die den leichtsinnigen Grundsäßen der ans Dern Partet das Gegengewicht halten sollte. Beide gesellschaftlichen Systeme, das libertinische und das pretiose, wurden durch elegante Cotterien, in denen die Damen die erste Stimme hatten, noch vor dem Regierungsantritte Ludwig's XIV. verbreitet; und jede dieser Cotterien maßte sich eine litterarische Autorität an. Da wurden unter den bedeutenden Einflüssen geistreicher Damen die Verhandlungen der französischen Akademie vorbereitet und eingeleitet. Die Zusammenfünfte im Hotel von Rambouil let, im Marais, und wie sie weiter hießen, waren auf geistreiche Debatten und auf raffinirten Lebensgenuß zugleich berechnet. Die beiden antis podischen Parteien kämpften lebhaft gegen einander.

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a) Bergl. den vorigen Band, besonders .82 ff.

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Aber

Die eine that vornehm; die andere lachte. beide moralisirten, nur nach verschiedenen Grunds fäßen; und beide kritisirte nin die Wette über die Geisteswerke der Neueren und der Ulten. An der Spiße der libertinischen Partei glänzte die bewun dernswürdige Ninon de l'Enclos mit ihrem philosophirenden Freunde St. Evremond. Die gratissé Partei fand an der feinen und rechtlichen Marquise de Sevigné feine schwache Stüße. Zwischen beiden Parteien schwankten Prinzen und Herren, Abbé's und Parlementsräthe, Feldmars schälle und Höflinge, die alle Esprit haben und besonders über die Werke der Dichter und geistreis chen Autoren mitsprechen wollten. In den ges mischten Zirkeln dieser Männer und Frauen gewann die französische Sprache an Feinheit und Des Hicatesse mehr, als durch alle Studien der Gram matiker. Aber in diesen Zirkeln nahm auch die französische Litteratur den conversationsmäßigen Chas rafter an, den sie seitdem nicht wieder verloren hat, und ohne den sie freilich keine Litteratur für Franzosen werden konnte.

Conversationsmäßig mußte also, wenigs stens außerhalb der Sphäre derjenigen Wissenschaf ten, die bei den Franzosen die exacten heißen, als les gedacht und gesagt seyn, was in allgemein ins teressanten Schriften nach der französischen Geschmackss norm geschäßt werden und gefallen sollte. Eine asthes rische Unständigkeit in Gedanken und Ausdruck wurde, weil sie zur guten Lebensart gehört, mit cons sequenter Strenge auch von den Schriftstellern vers langt. Frappante Einfälle wurden gut aufgenoms men; nur mußten sie mit Feinheit und Leichtigkeit,

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am liebsten etwas boshaft, twa in der Manier der Marimen des Weltmanns La Rochefoucauld, mehr hingeworfen, als förmlich vorgetragen werden. Aber alles tief Gedachte und tief Empfundene wurde als einsiedlerisch und phantastisch aus der guten Litteratur, wie aus der guten Gesellschaft, verwiesen. Als ob die höchste Bestimmung des Menschen keine andere wåre, als, in eleganten Gesellschaften zu glänzen, fo wurden die Forderungender höheren Humanis tåt an die Schriftsteller, die dem ganzen menschlis chen Gemüthe willkommen seyn und die ganze geistige Natur des Menschen veredeln sollen, den Gesetzen einer angenehmen Conversation untergeordnet. Was fonnte nun unter solchen Einflüssen aus der französis schen Poesie werden, die schon vorher weder den wahrs haft romantischen Ton zu treffen, noch den antifen sich mit wahrhaft poetischem Gefühle anzueignen wuß: te? Die ganze Sprache der Nation wurde ja so gebildet, daß, die wissenschaftlichen Kunstwörter ausgenommen, fast jedes Wort und jede Phrase, die nicht in der feinen Gesellschaft zu Paris gehört werden durften, auch dem Dichter untersagt war. Nur die Epistel, das Epigramm, und dasjes nige Lustspiel, das die Sitten der großen und feis nen Welt zum Gegenstande hat, konnten in der französis schen Dichterschule vorzüglich gedeihen. Jeder kühnerè und freiere Aufflug der Phantasie, jedes kräftigereWort des poetischen Gefühls wurde geschmacklos gescholten. Die größten Dichter der Nation, zum Beispiel Coré neille, mußten in der höheren Poesie, für die sie geboren waren, eine Art von feierlicher Hoffprache reden, die sich von der gewöhnlichen Conversations: fvrahe durch oratorische Würde unterschied, aber nicht viel poetischer, als diese, war.

In den litterarischen Cotterien zu Paris wurde nicht nur mit besonderer Wichtigkeit der französ fische Grundsak geltend gemacht, daß man vor als len Dingen wie ein Weltmann schreiben müsse, um in Prose, oder in Versen, ein guter Schrifts steller zu seyn; man bestärkte sich dort auch auf alle Art in dem Nationalvorurtheile, daß die Eles ganz des Ausdrucks interessanter Gedanken in leich

feinen und pikanten Wendungen das Wesents liche in der Poesie und Beredsamkeit sen. Den wahren Unterschied zwischen Poesie und schöner Pros se, für den die Nation von jeher wenig Sinn geø habt hatte, verlor man in den kritischen Debatten der Herren und Damen, die den Ton der guten Gesellschaft angaben, völlig aus den Augen. Hier verwandelte sich die goldene Grundregel der Kunst: "Studiere die Natur!" in die gar anders lautende: "Studiere den Hof und die Stadt!" "). Und wie sich der Hof und die Stadt zur Natur verhals ten, so trat nun die französische Poesie, wenige. Ausnahmen abgerechnet, der Poesie derjenigen Nar tionen gegenüber, bei denen man, nach alter Sitte, den Dichtern noch erlaubte, entfernt von den zerg streuenden Kleinigkeiten und Pråtensionen der gros Ben Welt, mit stiller Besonnenheit und einer relis gidsen Begeisterung die Natur und das Jnnerste Ihrer Seele zum Keim ihrer Dichtungen zu wähs

len,

Etudiez la cour, et connoiffez la ville! Diefer bes kannte Aufruf von Botteau an die Dichter, die im Lustspiele etwas Vorzügliches teißen wollen, hätte, nach den Grundsäßen desselben Kritikers, unter die ersten Regeln der französischen Poetik aufgenommen werden fönnen

Bouterwei's Eesh. d. schön. Redek. VI, B. 25

Ten, ohne darum den poetischen Werth der Men: schenkenntniß, die man nur im Umgange mit der großen Welt erwirbt, zu verkennen. Durch die

Hitterarischen Cotterien wurde endlich der Intriguengeist genährt, der in der Litteratur durch schlaue Veranstaltungen, ein Verdienst zu heben, oder zu unterdrücken, fast eben so viel Unheil stifs tet, als im geselligen Leben. Aber die vollige Ents wickelung dieses Intriguengeistes in der französischen Litteratur fällt in die spätere Periode, die auf das Jahrhundert Ludwig's XIV. folgte..

III. Das Verhältniß, in welchem die französ fische Poesie und Beredsamkeit während ihres gols denen Jahrhunderts zur Philosophie und zu den Wissenschaften stand, ist merkwürdig genug, und auch noch selten gehörig gewürdigt.

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Alle geistigen Kräfte der Nation drängten sich zur Thätigkeit. Es gab kein Modestudium, durch das eine Wissenschaft und Kunst auf Kosten der andern emporgehoben wåre. Daß die ästhetischen Studien vor allen übrigen das Interesse der Nation zu beherrschen schienen, war ganz in der Ordnung der natürlichen Geschichte des menschlichen Geistes; eine Wiederhohlung desselben Phänomens, das sich bei allen Nationen gezeigt hat, wo nicht eine zufällige Vereinigung von Umständen dem ersten allgemeis neren Emporstreben zur intellectuellen Bildung eine andere Richtung gab. Mur durch die Art, wie man in Frankreich das Schöne mit dem Wahren und dem Nüßlichen zu verbinden suchte, unterschied sich Der Franzose im Jahrhundert Ludwig's XIV. eben fo, wie in den früheren und den späteren Perioden

seiner

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