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Fast über jede Dichtungsart sind besondere Abhandlungen und Dissertationen in französischer Sprache während dieses Zeitraums geschrieben. Man gab sich unbeschreibliche Mühe, das poetische Verdienst fast ganz auf Schönheit des Styls, vers bunden mit einer angenehmen Einkleidung moralis scher Lehren, zurück zu führen. In diesem Sinne rås sonnirt man besonders über die epische und dramas tische Poesie "). Aber keiner der französischen Kritiker, deren Abhandlungen fleißig gelesen wurden, wirkte mehr auf die Nation durch Verbreitung fals scher Begriffe über poetische Schönheit und über das Wesen der Poesie, als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Ludwig's XIV. Fontenelle und nach ihm Houdart de la Motte.

Bis auf Fontenelle hatten die vorzüglicheren französischen Kritiker, wenn gleich nicht sehr philos sophisch, und noch weniger mit poetischem Gefühl, doch mit männlichem Verstande und oft mit wahrer Gelehrsamkeit råsonnirt. Der elegante Fontenelle, der nur oberflächliche Kenntnisse von allen Wissens schaften hatte und, um zu zeigen, daß er ein Phis. losoph sei, über alle Gegenstände leicht hin råsons nirte, fand für rathsam, den Streit über die Vors züge der Alten und der Neueren wieder anzuregen, um die Aeußerungen zu vertheidigen, die er sich, zur Empfehlung seiner galanten Schäfergedichte, über die Schäferpoesie der Alten erlaubt hätte ).

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r) Um nicht unnöthigerweise Büchertitel abzuschreiben, vers weise ich auf die Bibliothéque françoife von Goujet, und auf Blankenburg's litterarijche Zujäße zu Sulzer's Wdro terbuche.

6.217.

•) S. oben, S. 217. Die Digreffion fur les Anciens .)

et

Er nahm also den Faden der Discussion auf, wo Perrault ihn hatte fallen lassen. Um recht philo, sophisch anzufangen, vergleicht er die Geistestalente mit den Bäumen. Die ganze Streitfrage über die Vorzüge der Alten und der Neueren, sagt er, lasse sich zurückführen auf die Untersuchung, ob die Bäuz me ehmals höher gewachsen, als jekt. Nun hänge zwar der Wachsthum der Bäume auch von dem Klima ab, und nicht jeder Baum komme in jedem Klima fort. Uber das Klima in Griechenland, Italien, und Frankreich set doch ungefähr dasselbe. Die Franzosen seien nicht nur eben so cultivirt, sondern noch cultivirter, als die alten Griechen und Romer. Mithin sei gar nicht einzusehen, warum sie es in allen Künsten und Wissenschaften nicht wenigstens eben so weit gebracht haben könnten, wie die Alten. Daß sie es in den Wissenschaften weiter gebracht, werde jedermann zugestehen. Aber auch in der Poesie und Beredsamkeit habe es den Neue: ren nicht schwer werden können, die Alten zu über: treffen. Die Beredsamkeit der Alten sei besser ge: rathen, als die Poesie, weil jene zu Macht und Ehre in den republicanischen Staaten geführt, die Poesie aber nichts eingebracht habe. Darum über: treffe Demosthenes den Homer, und Cicero dew Virgil. Ueberhaupt aber habe die römische Poesie und Beredsamkeit, das Trauerspiel allein ausges nommen, den Vorzug, vor der griechischen; Cicero übertreffe den Demosthenes, Virgil den Homer und Theokrit, Horaz den Pindar, Titus Livius alle griez

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et les Modernes findet sich hinter der Abhandlung fur la nature de l'Eglogue, in den Oeuvres de Fontenelle, Tom. III.

Daraus könne man

griechischen Geschichtschreiber. abnehmen, warum die Neueren in der Redekunst wieder über die Römer hervorragen. Diese faden Aussprüche über das Verhältniß der alten Redes kunft zu der neueren stimmen indessen mit den Ber griffen überein, die Fontenelle von der Poesie hatte. Er hat auch diese Begriffe dem Publicum nicht vorenthalten. Sie finden sich in seiner ausführlts chen, ordentlich in vier und siebenzig Paragraphen eingetheilten, also sehr gründlich scheinenden Abs Handlung über die Poetik t). Auch hier spielt Fontenelle den Philosophen. Von den Res geln fångt er sogleich zu sprechen an. Es scheine zwar, daß unregelmäßige Werke auch den Mann von gebildeten Geiste mehr interessiren können, als regelmäßige; das komme aber nur daher, weil man bie feineren Regeln, von deren Befolgung die Kunst, zu gefallen, am meisten abhänge, noch nicht genug fenne. Die poetische Magie sei nichts aus Ders, als Befolgung eben dieser feineren Regeln. Die Kunst, zu gefallen, sei das Wesen der Poesie. Dieses vorausgefeßt, müsse der Dichter das Inters essante aufsuchen, vom Neuen und Sonderbaren den gehörigen Gebrauch machen, durch Feinheit und Delicatesse der Behandlung auch die Leidens schaften angenehm zu machen wissen. Uber der tus gendhafte Dichter müsse auch den moralischen Nußen seiner Arbeit nicht aus dem Gesichte verlieren. Besonders müsse durch die dramatischen Darstellungen

Die

*) Reflexions fur la poétique, in den Oeuvres de Fontenelle T. VI. Einen Nachtrag liefert die Abhandlung Sur la poéfie en géneral, im 8ten Bande.

Bouterwek's Gesch. d. schön. Redek. VI, D.

die Liebenswürdigkeit der Tugend bemerklich gemacht werden.

In Fontenelle's Abhandlung über die Poetik tritt im Grunde nur das Princip, das fast alle französischen Poetiker irre führte, auf eine Art hers vor, die am bestimmtesten zeigt, wohin es am Ende führen mußte. Man ging immer von dem Grunds fake aus, die Beredsamkeit wolle überreden, die Poesie aber wolle nur gefallen. Durch diese Erklärung glaubte man das Wesen der Poesie hins Tänglich bezeichnet zu haben. Man råsonnirte also ganz confequent, wenn man das Angenehme über: haupt dem Poetischen gleich stellte, und jedes Geis steswerk für ein gutes Gedicht hielt, wenn es den Zweck, zu gefallen, ohne überreden zu wollen, auf eine natürliche und vernünftige Art erreichte. Die Poesie war, nach einer solchen Poetik, von den Künsten, durch die ein geistreicher und gebildeter Mensch in guter Gesellschaft gefällt, gar nicht wes sentlich verschieden.

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Gerade diese Vorstellung von der Poesie hatte der schon oft genannte Houdart de la Motte. So, wie er sich in allen Dichtungsarten versuchte, rásonnirte er auch über alle. Eine besondere Ab handlung über die Poesie steht als Vorrede vor seinen Oden"). Man habe, sagt er, bei dem Streite über den Vorrang der alten, oder der neueren Dich; ter fast immer falsche, zum Beispiel moralische, Gesichtspunkte gewählt. Auch die griechische und römische Poesie habe zunächst keinen andern Zweck gehabt,

Difcours fur la poéfe, in den Oeuvres de Houdart de la Motte, Tom. I. part. I.

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gehabt, als, zu gefallen. Die Poesie habe an sich gar keinen Werth. Aber der tugendhafte Dichs ter wisse, das Rüßliche mit dem Angenehmen zu verbinden. So habe Menander die griechische Cor mödie dadurch verbessert, daß er sie unschuldiger gemacht und die Verläumdung vom Theater ver drängt habe. Virgil übertreffe den Homer in der Wahl seines Helden, weil der Charakter des Aeneas weit nachahmungswürdiger sei, als der Charakter Achills. Zur Poesie werde Begeisterung erfordert; ader was man Begeisterung nenne, set nichts ans ders, als eine Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, der man sich hingebe. Ein vernünftiger Dichter müsse seine Einbildungskraft beherrschen. Sein

Enthusiasmus müsse nicht wirken, wie ein Rausch, sondern wie die sanften Dünfte (douces vapeurs), Die nur ein wenig zu Kopfe steigen und die Lebenss geister stärken. Zwischen dem, was die Einbils dungskraft hervorbringe, müsse der Dichter eine vers ständige und angenehme Auswahl (choix judicieux et agréable) zu treffen wissen. Das sei das Ger heimniß der Kunst und des guten Geschmacks.

Wenn man von diesen Grundsäßen der Poetik auf diejenigen zurückblickt, die sich in den kritischen Abs handlungen der Italiener, der Spanier, und der Portugiesen aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert finden, wird man bald gewahr, daß Diese Nationen in der Theorie des Schönen nicht ein Mal so weit gekommen waren, wie die Frans zosen. Aber die italienische, spanische und portus giesische Poesie war auch, wie die griechische, eine freie Tochter des Genies und eines natürlichen Ges schmacks, an dessen Entwickelung die schulgerechte

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Theor

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