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Geschichte

der

französischen Poesie und Beredsamkeit.

Viertes Buch.

Von den ersten Decennien des achtzehnten Jahre hunderts bis auf unsere Zeit.

Denn

Die Geschichte der leßten Periode der französis schen Litteratur ausführlich zu erzählen, muß dem Bibliographen überlassen bleiben, dessen Pflicht ist, kein irgend interessantes Geisteswerk zu übers sehen, auch wenn es längst durch vorzüglichere Werke von ähnlicher Art übertroffen seyn sollte. nur in den Wissenschaften, die man jekt in Frank, reich die exacten nennt, haben die Franzosen seir dem Jahrhundert Ludwig's XIV. wahre und sehr große Fortschritte gemacht. In der schönen littes ratur sind sie nicht nur um keine Stufe höher ges stiegen, als sie zu Anfange des achtzehnten Jahr: hunderts standen; sie sind sogar da, wo sie sich über

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über den Geist und Geschmack der goldenen Zeit ihrer Litteratur erheben wollten, entweder auf Ab: wege gerathen, die noch weiter vom Ziele der poes tischen Vollkommenheit entfernten, oder sie haben sich mit einer fortgesetzten Verfeinerung der poetischen und rhetorischen Formen begnügt, die im Zeitalter Ludwig's XIV. eingeführt waren. Die wenigen Ausnahmen, die man bei der Anerkennung dieser historischen Wahrheit nicht vergessen darf, sind bald bemerkt. Gleichwohl haben die Franzosen in dieser lehten Periode ihrer Litteratur eher mehr, als wes niger, Verse gemacht, als in der vorigen. Seits dem die schönen Geister in Frankreich zugleich die wahren Philosophen der Nation vorstellen wollten, und auch die wirklich philosophischen Köpfe den Ton der schönen Geister nachahmten, kamen auch der prosaischen Schriften, die mit Geschmack geschrieben seyn sollten, eine solche Menge zum Vorschein, daß der Geschichtschreiber der schönen Litteratur faum weiß, wo er anfangen und aufhören soll, um weder das Merkwürdigste zu verfehlen, noch das Unbes Deutende in ein solches Licht zu stellen, als ob es etwas Merkwürdiges wäre. Eine oberflächliche Cultur des Geschmacks verbreitete sich im ganzen Laufe des achtzehnten Jahrhunderts, bis auf die schreckliche Epoche der Revolution, immer inehr unter allen Stånden in Frankreich. Die Revolus tion selbst, die in der ganzen Weltgeschichte vorzugss weise so genannt werden zu müssen schien, weckte plößlich auf eine kurze Zeit die politische Beredsams Feit in Frankreich wieder auf; weiter hat sie aber auch nicht die mindeste Veränderung in der schönen Litteratur der Nation hervorgebracht. Kein poetis sches Genie ist durch diese große Weltbegebenheit aufs

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geregt;

geregt; kein classisches Werk in Prose ist durch sie veranlaßt. Der litterarische Geschmack der Nation ist im Ganzen geblieben, was er war, hier und da wohl verschlimmert, aber nirgends verfeinert, nirs gends durch freiere Aussichten nach Grundsäßen gebildet, die nicht schon in der Gesetzgebung Bois leau's enthalten wären.

Nach dem Plane eines historischen Werks, das nur die Entwickelung und die Fortschritte des litterarischen Geschmacks der neueren Nationer ausführlich darstellen soll, wird also dieses lehte Buch der Geschichte der französischen Poesie und Beredsamkeit auf die Notizen eingeschränkt werden müssen, welche hinreichen, den neuesten Zustand der schönen Litteratur der Franzosen im natürlichen Zus fammenhange mit den früheren Perioden beurtheilen zu lehren, ohne die noch lebenden Dichter und geists reichen Schriftsteller einer Kritik zu unterwerfen, die illiberal scheinen könnte.

Erstes

Erstes Capitel.

Allgemeine Geschichte der poetischen und rhetori schen Cultur der Franzosen in diesem Beit

raume.

Die berühmtesten Dichter und beredten Schrift: steller der Franzosen aus dem Jahrhundert Ludwig's XIV. hatten den Forderungen des Nas tionalgeschmacks in ihrem Vaterlande auf eine solche Art Genüge gethan, daß wohl nie ein Volk in der Welt mit seiner schönen Litteratur so zufrieden gez wesen ist, wie die Franzosen mit der ihrigen schon in den ersten Decennien des achtzehnten Jahrhuns derts waren. Aber der Geist der energischen Fort: schreitung verlor sich auch in demselben Verhålt: nisse aus der französischen Poesie und Beredsamkeit, wie die litterarische Selbstzufriedenheit der Nation zunahm. Nach der Meinung, die in ganz Franks reich herrschend wurde, übertrafen die Franzosen nun schon in Allem, was Geschmack heißt, jede åltere und neuere Nation. Aber es zeigte sich doch bald, daß der Zeist des Jahrhunderts Ludwig's XIV., selbst nach den Geseßen des Nationalges schmacks, in der französischen Litteratur, immer mate ter fortwirkte. Der Bagatellengeist usurpirte die Borrechte des Gentes. Einzelne Männer imponir: ten noch dem Publicum durch die Superiorität ihrer Talente; aber im Ganzen war die Aufmerksamkeit

dieses Publicums fast nur noch auf das Urtige Niedliche, Amüsante, nicht mehr, wie vorher, auf das Große gerichtet. Die Litteratur trug das Ger präge der herabgesunkenen Denkart, des erschlafften Patriotismus, und der verweichlichten Sitten.

1. Schon in den lehten Jahren der Regierung Ludwig's XIV. stand der französische Nationalstolz in einem sonderbaren Widerspruche mit der politis schen Demüthigung des sonst so gefürchteten Mos narchen. Unter der Administration des Herzogs Regenten geschah nun gar nichts Großes mehr. Die Finanzen waren zerrüttet; alle Nerven des Staats gelähmt. Um Hofe herrschte die roheste Frivolität. Und doch erhielt sich in der Litteratur noch ein schöner Ueberrest der ålteren Denkart und Sitten bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Dann aber wurde es immer flarer, daß vom Throne herab die Kunst und Wissenschaft in Frankreich nur wenig noch zu erwarten hatte, so lange der Geist der Regierung Ludwig's XV. dau: ern würde; und Ludwig XV. regierte, dem Nah. men nach, beinahe ein halbes Jahrhundert. Die Dichter und schönen Geister wurden nicht mehr so, wie unter Ludwig XIV., zum königlichen Hofstaat gezählt, auch wenn sie noch eine Pension erhielten. Die französische Akademie stand fortwährend unter den Einflüssen des Hofes; aber es war schon eine Ehre für die Mitglieder dieser Akademie, den Må: tressen des Königs ihre Aufwartung machen zu dürs fen; der üppige, in Sinnlichkeit versunkene König selbst nahm wenig Notiz von ihren Ansprüchen und Verdiensten. Besonders zeichnete sich die Marquise

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