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ten richtig gewürdigte Jahrhundert Ludwig's XIV. Selbst das große Ereigniß der Wiederhers stellung der Kunst und Litteratur in Europa während Der vorhergegangenen Jahrhunderte macht in der Ger schichte der europäischen Sitten und der neueren Denks art überhaupt nicht in diesem Grade Epoche. Wie eine aufgehende Sonne, bei der jede Nation mit ih: ren eigenen Augen sah, hatte das Licht der wieders erwachenden Geistescultur, von Italien aus, allen Láns dern unsers Welttheils geleuchtet. Aber keiner Na: tion, die sich mehr, oder weniger, dieses Lichtes ers freuete, war es eingefallen, den eigenen Charakter und die eigenen Formen ihrer Nationalität im Denken, Dichten und Leben dem ganzen Europa als Universalmuster anzupreisen; und keine Nation hatte erlebt, daß ganz Europa sich bequemte, seinen Ge: schmack einem andern aufzuopfern, der sich auch in den Verhältnissen eine Weltherrschaft anmaßte, wo er doch nur ein sehr beschränkter und einseitig gebildeter Nationalgeschmack war. Vorher blieben der Spas nier und Portugiese, der Franzose, der Engländer, der Deutsche, wieviel sie auch immer in Kunst und Litteratur von den Italienern annehmen mochten, doch immer sie selbst. Niemand dachte daran, die Sits ten, und noch weniger die Sprache seiner Nation zurückzusehen, oder wohl gar zu verachten, um desto geschmackvoller italienisch zu leben und zu spres chen. Aber französisch zu leben und französisch zu sprechen, wurde seit dem Jahrhundert Ludwig's XIV, der ganzen gebildeten Welt zu einer so wichtigen Ans gelegenheit, daß mit dieser Epoche die moderne Mos notonie der Sitten in Europa anfängt, und keine europäische Sprache mehr ist, die nicht durch den Einfluß der französischen, oder durch Herabs setzung

feßung zu Gunsten der französischen, mehr oder wes niger gelitten hätte.

Desto nothwendiger ist also auch in der Geschichte der französischen Poefte und Beredsamkeit eine prags matische Uebersicht der Ursachen und Wirkungen, die zusammentreffen mußten, die Eigenthümlichkeit des französischen Geschmacks in jenem merkwürdigen Zeitaltervöllig zu entwickeln und zugleich seine sonders bare Weltherrsch a ft, die in der Litteratur wieder auf ihn selbst zurück wirkte, einzuleiten und zu vollens den. Daß der Geist der französischen Litteratur im Ganzen schon unter Richelieu derselbe gewesen, der im Jahrhundert Ludwigs XIV. nur durch seine bewuns dernswürdige Berfeinerung der ganzen Welt imponirte, ist im vorigen Buche erzählt worden.

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1. Durch Richelieu's starke Hand war die frans zösische Monarchie zum ersten Male in allen ihren Theilen consolidirt. Alle physischen und geisti: gen Kräfte der Nation standen nun Einem Herrn zu Gebote, wenn er nur die Zügel, an die er sie lenkte, fest zu halten, und durch seine Autorität die schöne sowohl, als die schwache Seite des französischen Nationalcharakters zu benußen verstand, um, auch ohne selbst groß zu seyn, etwas Großes zu wagen, und den glücklichen Erfolg mit stolzer Zuversicht von der Na tion zu erwarten. Wenn es diesem Herrn gelang, seinen Hof zum glänzendsten in der Welt zu machen, seine Armeen zu glänzenden Thaten anführen zu lassen, und in Allem, was er unternahm, den gros fen Monarchen ein wenig theatralisch zu repråsens tiren, so war er der Mann auf dem Throne nachh dem Herzen seines Volks. Ludwig XIV., ein Fürst

von den mittelmäßigsten Geistesgaben, unfähig, im Staat, oder im Felde trgend etwas Großes selbst zu erdenken, oder zu thun, aber herrschend in der That durch das Monarchengefühl, das er in seinem Busen trug und mit dem edelsten Unstande geltend zu machen wußte, wurde der Held seines Jahrhunderts durch die Vergötterung, mit der ihn seine Nation auf the ihs ren Schultern trug. Jeder Franzose, der huldigend zu ihm hinaufblickte, sah sich selbst verherrlicht in einem so impofanten Herrscher. Und dieser Ludwig war zugleich der wahre König der eleganten Welt. Ein schöner Ueberrest der alten Rittersitte vereinigte sich in ihm mit den neueren Formen der geselligen Feins heit. Er war ein stattlicher Weltmann, und nirgends mehr an seinem Plake, als bei Hofe. Ein allgemeines Streben nach einer ähnlichen Würde und Eleganz der Sitten verbreitete sich durch die Nation, und wirkte mächtig auf die französische Litteratur, die schon vorher in Sprache und Ton den Hof zum Muster zu nehmen gewöhnt war. Uber am Hofe Ludwigs, der fich selbst und seiner Nation als der Große erschien, konnte man sich nur durch etwas Vorzügliches und Glänzendes, nicht durch gewöhnliche Feinheit, ems pfehlen. Auch in der Litteratur und Kunst strebten also nun die Franzosen als Nation nach dem Vors züglichen und ungemeinen.

Uber auch nur durch den Impuls, den die Regierung Ludwig's XIV. der ganzen französischen Nas tion gab, wirkte diese Regierung vorzüglich mit, die schöne Litteratur der Franzosen zur glänzenden Höhe einer classischen Nationalvortrefflichkeit zu erheben. Denn lange vorher, ehe Ludwig in seinem Reiche und an seinem Hofe als der größte Monarch figurirte, und seine politische Uebermacht mit dem ganzen Stolze

seines persönlichen Charakters andere Nationen "ems pfinden ließ, blühte die französische Poesie und Ber redsamkeit in voller Kraft. Während der beinahe zwanzigjährigen Administration des Cardinals Ma: zarin (vom Jahr 1643 bis 1661) stand der stolze Monarch, auch nachdem er schon volljährig geworden, unter einer so drückenden Vormundschaft, daß weder seine eigene, noch eine andere Nation ihn bewundern fonnte. Mazarin war viel zu sehr Italiener, und viel zu wenig liberaler Mensch, um sich für die Fortschritte der französischen Litteratur ernstlich zu interessiren. Das einzige Verdienst, wenn man es so nennen darf, das er sich um diese Litteratur erworbe,n bestand darinn, daß er ihrem Fortgange kein Hinders niß in den Weg legte und Richelieu's Institute, bes sonders die französische Akademie, in dem Ansehen. ließ, das sie nun schon hatten. Damals wurde auch die französische Sprache außerhalb Frankreich noch lange nicht so geachtet und studirt, als gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts. Selbst der Jms puls, den die Regierung Ludwig's XIV. der ganzen französischen Nation geben sollte, fing nicht eher an, als mit Colbert's und Louvois Administration. Mazarin, so ein feiner und glücklicher Staatsmanı er war, wenn es galt, nach außen des Reichs zu wirken, fonnte anfangs nicht ein Mal den Wieders ausbruch der bürgerlichen Unruhen dämpfen, die Richelieu so energisch geendigt hatte. Während dies fer unruhigen Zeiten der Fronde, als die Regierung des kaum consolidirten französischen Staatskörpers von neuem ein Spiel elender Hof: Factionen wurde, schien es sogar, als ob die Epoche, da die französische Nation im Gefühl ihrer Einheit und Llebermacht ih ren Nationalgeschmack in der ganzen Welt geltend

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machen

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machen sollte, noch weit entfernt sei. Und gerade in den Zeiten der Fronde und unter der Udminißration Mazarin's reifte das Genie Corneille's und Moliere's, schrieb La Rochefoucauld seine Marimen und Mea moires, entwickelte sich das Rednertalent Bossuet's, und bildeten sich überhaupt alle die vorzüglichen Köpfe, mit deren verdientem Ruhme das litterarische Jahrhundert Ludwig's XIV. anfängt. Unter einer weniger glänzenden Regierung würde also die frans zösische Litteratur in allen wesentlichen Vorzügen uns gefähr dieselben Fortschritte gemacht haben. Aber die Celebritát, welche diese Litteratur bald in ganz Europa erhielt, wåre ihr ohne den Glanz des Hofes Ludwig's XIV. schwerlich zu Theil geworden. Mit einem so anmaßenden Stolze, wie ein Theil der frans zösischen Dichter und Schriftsteller nun auf ein Mal th: ren Nationalgeschmack, als den einzig guten, selbst über den antifen und den italienischen zu erheben sich hers ausnahmen, würde in Frankreich selbst niemand zu feinem Zwecke gekommen seyn, wenn nicht das Aus, land, von der Machahmung der französischen Sitten plößlich wie von einem austretendenStrome hingerissen, die französische Nation selbst verwöhnt hätte, alles, was von ihr ausging, nachahmungswerth zu finden. Daß sich sonst die französische Poesie mehr nach einer fremden, zum Beyspiel nach der italienischen, gebilder haben würde, ist gleichwohl sehr zu bezweifeln; denn schon lange vorher, als diese Poesie außerhalb Frankreich eben so wenig gekannt und geachtet war, als jest etwa in Frankreich die Poesie der Deutschen, beharrte, wie auch in den vorigen Büchern dieser Geschichte erzählt worden ist, der französische Geist eigensinnig bei feiner Nationalität, und alle Versuche französischer Dichter, sich den Geist der italienischen Poesie anzus

eignen,

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