페이지 이미지
PDF
ePub

spanischen Schauspielpoesie war in Racine's Augen vermuthlich bloße Geschmacklosigkeit; denn der Hof, die Stadt, und die Akademie verlangten eine förms liche Regelmäßigkeit nach Geseßen, deren Gültigkeit man nicht mehr zu bezweifeln wagte, und als die erste Bedingung der tragischen Schönheit ansah. Aengstlis cher noch, als Corneille, vermied Racine jeden Verstoß gegen die Poetik des Aristoteles, außer, wo Aris stoteles selbst vor der modernen Gesetzgebung des französischen Geschmacks sich beugen mußte. Dere selbe Racine, der mit enthusiastischer Verehrung an den griechischen Tragikern þing, schrieb Trauerspiele, Die mit den griechischen nur in der Einfachheit der Composition, in der Vermeidung des Blutvergießens auf dem Theater, in der Beobachtung der aristotelis schen Einheiten des Orts und der Zeit, und in der gehaltenen Würde des Styls und der Sprache übers einstimmen, übrigens aber mit dem poetischen Charakter eines griechischen Trauerspiels nicht mehr gemein haben, als mit dem einer spanischen Comédie. So wohl der Chor des griechischen Theas ters, als alles Lyrische im Ausdrucke der Empfin: dungen, blieb vom französischen Trauerspiele ausges schlossen. An die Stelle der mythischen Religiofitắt, die freilich kein christliches Publicum erfreuen konnte, dem griechischen Trauerspiele aber wesentlich war, trat in Racine's, wie in Corneille's Werken die romantische Galanterie im Style des französischen Hofes; und doch wählte er seine Helden und Hels dinnen, wie Corneille, mit entschiedener Vorliebe aus der griechischen und römischen Geschichte. Cors neille selbst soll ein Mal gesagt haben, er erkenne in den Griechen und Griechinnen, Römern und Rds merinnen des Racine nur verkleidete Franzosen und

*

Frans

Französinnen. Sogar ihm fiel also an den Werfen feines Nebenbuhlers eine Seltsamkeit auf, die er an seinen eigenen nur deßwegen nicht bemerkte, weil er sich auf tragische Gemählde der romantischen Liebe bei weitem nicht so gut, wie Racine, verstand. Racine verdankte feinen kleinen Theil der Gunst des Publicums seinem Talente, die Gefühle einer Liebe, die fein griechischer Tragiker kennt, mit eben so vieler Wärme und Wahrheit, als Delicatesse und Würde, zu mahlen. Selbst die Phädra des Eurts pides verwandelte sich zu ihrem Vortheile unter Racine's zart nachbildenden Händen. Dem Dichter einen Vorwurf aus dieser Verlegung des antiken Costums zu machen, würde nur dann ungerecht seyn, wenn er nicht, um der Würde des tragischen Pathos willen, wie Corneille, ein Verdienst in der Beibes haltung jenes Costums gesucht, und Begebenheiten aus der romantischen Ritterzeit der tragischen Be: arbeitung unwürdig gehalten håtte. Als er in setnem Bajazet zur Abwechselung ein Mal Türfen und Türkinnen auftreten ließ, gab er auch ihnen französische Charaktere, und suchte doch durch das türkische Costum den tragischen Effect zu erhöhen. Dieser Eigensinn seines Geschmacks gewöhnte die Nation noch mehr an die falsche Feierlichkeit, zu welcher der Gattungscharakter der französischen Tragödie von selbst schon hinführte. Racine's Hels den und Heldinnen erlauben sich noch weniger, als die des Corneille, Aeußerungen, die nicht, selbst iu der Gluth der Leidenschaft, mit der abgemessenen Decenz des Hofes vorgetragen werden fonnten. Das her ihre immer sich gleiche Feinheit in der Wahl der schicklichsten Redensarten, und ihre Vermeidung

[ocr errors]

jeder

[ocr errors]

jeder nur einigermaßen gewagten Metapher. Das wahrhaft Menschliche in der Empfindungsart trich bei Racine nur darum · stårker, als bet Corneille, hervor, weil er mehr durch Darstellung der Schwdz chen des menschlichen Herzens rühren, als durch. den Ausdruck eines exaltirten Point d'Honneur imponiren wollte. Dafür aber fehlt seinen Chas rakterzeichnungen das Kräftige und Bestimmte, in welchem Corneille ein Meister war. Nur in der Arhalie hat er sich selbst übertroffen. Seine Phantasie war überhaupt nicht reich, aber so biegs fam, daß er sich in jeden Stoff, den er bearbeiten wollte, mit bewundernswürdiger Leichtigkeit hineins, studiren konnte, um gerade dasjenige aus ihm her: vorzuziehen, was der französische Geschmack vers langte. Nach den Forderungen des französischen Geschmacks hat er denn meisterhafter, als irgend ein Dichter vor ihm, die Schattirung der Ems pfindungen mit unerschöpflicher Feinheit durchgeführt, Die zarteste Rührung mit Würde verbunden, das Natürliche weder dem Glänzenden aufgeopfert, noch. es mit dem Gemeinen verwechselt, sich überhaupt als ein recht verständiger Dichter gezeigt, und, in der Eleganz der Sprache und Versification, nach: den Gesehen des französischen Ulexandriners, nichts zu wünschen übrig gelassen. Ein so zart gehaltenes, aus einem unbedeutend scheinenden Stoffe so funsts reich und ohne Affectation gebildetes, fast ohne alle äußere Handlung fortschreitendes, und doch in seis nen feinsten Zügen interessantes Trauerspiel, mie Racine's Berenice, giebt es außerdem nicht. Auch seine Athalie ist einzig; denn so ist keinent Dichter der Versuch gelungen, die alttestamentliche Religiosität der Juden an die Stelle der mythischen

9

"

Religiosität der Griechen in einer tragischen Coms position zu sehen, die Härte des Judaismus zu überwinden, und den orientalischen Styl in den europäischen der neueren Jahrhunderte zu verschmels zen. Die Chore in diesem Trauerspiele sind zwar noch immer verschieden von dem griechischan Chor, aber sie nähern sich ihm sehr, und erhöhen niche wenig die poetische Würde des Ganzen. Noch ein Paar solcher Stücke hätten dem französischen Ges schmacke in der Schäßung tragischer Schönheit eine ganz andere Richtung geben können, wenn sie auf das Publicum gewirkt hätten. Aber dieses Publis cum hing schon so fest an den eingeführten Formen, daß es die Athalie sehr kalt aufnahm und kaum ihr litterarisches Daseyn bemerkte ). Der Bris tannicus, auf den Racine, wie er selbst sagt, mehr Fleiß, als auf alle seine übrigen Trauerspiele gewandt hat, fand anfangs zwar auch keinen lebs haften Beifall; aber er ist nachher ein Lieblingss Stück der Franzosen geworden. Und doch stechen gerade in diesem Britannicus mehrere Nationalfehs ler des französischen Trauerspiels bis zum Lächerlis chen hervor. Außerhalb Frankreich möchte wohl nirgends der gute Geschmack verzeihen, daß der Imperator Nero seinem Günstlinge Narciß das Geheimniß seiner Leidenschaft mit den Worten ans vertrauet: "Narciß, es ist geschehen; Mero

ist

*) Jeßt, freilich, urtheilt man in Frankreich anders über die Athalie, als zu Racine's Zeit. Aber von den Kunstrichtern mußte man erst lernen, daß dieses Traus erspiel, bei aller Ungewöhnlichkeit des Stoffs und der Manier, doch nicht gegen ote Regeln des französischen Theaters fehle; und nun ließ man sich die höhere Schöns heit des Stücks gefallen.

ist verliebt?).

Roch anstößiger für Jes den, wer nicht den ganzen Eigensinn der französis schen Sprache vortrefflich zu finden gelernt hat, ift eine äußerst gemeine, aber durch die Gewohnheit vornehm gewordene Phrase in der studirten und ers müdend langen Rede der Agrippina an den Nero, als sie ihn an die Geschichte seiner Verpflichtungen gegen sie erinnert und mit pretidsem Selbstgefühl sagt: "Ein weniger strenges Gesetz brachte den Claudius, in mein Bett, und Rom zu meis nen Füßen" ").

Racine's Lustspiel Die Prozeßluftigen (les Plaideurs) ist, neben die Meisterwerke Moliere's ges stellt, nur eine komische Kleinigkeit, und überdieß nur Nachbildung eines griechischen Originals, aber eine vortreffliche Nachbildung im Geiste des neueren Theaters, zwar burlesk, aber voll komischer Kraft und Wahrheit; eins von den wenigen Caricaturs:

t) Narciffe, c'en eft fait; Néron cft amoureux.

u)

Une loi moins févère

stücken,

Mit Claude dans mon lit, et Rome à mes genoux, Die erste Hälfte dieses leßten Verses wird noch komischer durch den Anfang des folgenden:

C'étoit beaucoup pour moi, ce n'étoit rien pour

vous.

Das Uebermaß von beaux yeux in den Trauerspielen des Racine ist selbst den französischen Kritikern aufges fallen. Aber es war ja eine conventionelle, folglich nach dem französischen Geschmacke unverwerfliche Metapher, deren er sich bediente. In welcher andern Sprache würde man indessen dergleichen Metaphern, außer im ges meinsten Style, dulden, wie z. B. auch épouser la caufe de quelqu'un; embrasser un fyfteme, &c.?

« 이전계속 »