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scheint. Der sich in Wein betrinkt, schadet unmittelbar nur sich. Dem Schaden, den er Andern zu thun im trunkenen Muthe aufgelegt ist, kann auf andere Weise, als durch das Verbot des Weins, schicklicher vorgebeugt werden. Wer aber eine schädliche Meinung öffentlich vorträgt, der schadet Andern unmittelbar und geradezu; daher ihm gar wohl die Geseze zuvorkommen und Einhalt thun können.

Wenn die alten Skeptiker ihre Meinung vortrugen, daß alles dem Zweifel unterworfen sei, so pflegten sie aus Vorsicht hinzuzuthun: und auch dieser Saß, daß alles ungewiß sei, ist selbst noch ungewiß.

So wünschte ich Hrn. Prof. Selle's Erklärung zu wissen, ob er den Sah selbst: daß es keinen reinen Vernunftbegriff gebe, nicht für einen Vernunftbegriff halte? Oder schließt er ihn deswegen von reinen Vernunftbegriffen aus, weil er mathematisch demonstrirt werden kann, und also identisch ist?

Wenn alle mathematisch erweislichen Säße, als identisch betrachtet, nicht als reine Vernunftbegriffe gelten sollen, so bleiz ben freilich keine andere Säge zurück, als solche, die sich ganz oder zum Theil auf Erfahrung gründen; und der Sak: es giebt keine reine Vernuftbegriffe, insoweit Hr. Prof. Selle eigentlich Vernunftsäge darunter versteht, ist im Grunde selbst identisch, und will nur so viel sagen: alle Wahrheiten find entweder mathematisch erweislich, also auf identische Säße zu reduciren, oder gründen sich auf Erfahrung, oder sind aus beiden Arten zusammengeseßt. Ich denke nicht, daß Jemand wider diese Behauptung etwas einzuwenden haben kann, er möchte mit der Art und Weise, wie sich Hr. Selle über den Sag des ** ausdrückt, zufrieden oder nicht zufrieden seyn.

Verschiedene Einwürfe des Hrn. Zöllner beruhen, wie mich dünkt, auf einem bloßen Wortstreite. Er nimmt z. B. die Worte Synthesis und Analysis in einer andern Bedeutung als Hr. Selle, und führt die Mathematik zum Beweise an, daß es von der Erfahrung unabhängige Synthese gebe. Ihre Synthese, wird Hr. Selle antworten, aber nicht die meinige. Es kommt hier nicht darauf an, auf

wessen Seite der Sprachgebrauch sei Genug, Hr. Selle nennt einen Sah nur alsdann synthetisch, wenn das Prädicat nicht aus dem Subjecte erwiesen werden kann; und dergleichen kann es in der reinen Mathematik nicht geben.

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Noch hatte ich gewünscht, Hr. Prof. Selle hätte eigentliche Begriffe von Urtheilen und Säßen unterschieden. Sein Thema ist es giebt keine reine Vernunftbegriffe, und sein Beweis spricht nur von Säßen; wiewohl die Begriffe als Mate= riale des Denkens offenbar ihren Ursprung nicht von der reinen Vernunft haben können, welche sich bloß auf das Formale des Denkens bezieht.

Indessen kann die Seele das Formale selbst zum Gegenstande ihres Nachdenkens nehmen, und in so weit reine Vernunftschlüsse herausbringen, die aber, wie in der Logik, abermals identisch seyn werden.

überhaupt habe ich die größte Verehrung für identische Såße dieser Art. Wenn man sich in metaphysischen und moralischen Dingen nach mathematischer Evidenz sehnt, was will man anders, als die Säße in denselben auf Identität dieser Art hins führen zu können?

(1784.)

Wenn Weltweise von entgegengeseßten Grundsäßen aus, gehen, nach den Regeln der Vernunftkunst richtig fortschließen, und im Resultate gleichwohl sich näher kommen; wenn ihre Schlußfäße einander nicht so entgegengesezt sind, als ihre Vorderfäße; so muß die Verschiedenheit Anfangs mehr in der Sprache, als in den Gedanken, mehr im Gebrauch der Wörter, als in den Begriffen gelegen haben. Man verwirft oft mit Recht den Zwang der Schulsprache, und vermeidet die Kunstwörter, die in einer Wissenschaft eingeführt sind; weil diese auf zu sehr gebahnte Wege führen, immer auf der Heerstraße zu bleiben zwingen, das Genie aber gern abschweift, um neue Wege zu suchen. Allein eben dadurch verliert man auf der andern Seite auch den Vortheil, den die Kunstsprache mit sich führt, die Bestimmtheit und den festen Umriß der Begriffe, deffen Gränzen schwankend werden

und sich dem Auge entziehen. Es sei mir erlaubt zu sagen, daß ich im vorliegenden Streite über die Grundsäße der Regierung etwas ähnliches zu finden glaube; mehr Einstimmung im Refultate, als in den Grundmarimen, und also vermuthlich mehr Streit im Gebrauch der Kunstwörter, als in den Begriffen. Im Vorbeigehen gesagt, mich dünkt auch, Herr Prof. Zöllner befindet sich mit dem Verf.,,des Jerusalems", wenigstens in Einem ihrer Streitpunkte, in einem ähnlichen Fall. In seinem vorigen Auffage scheint er die ganze Theorie von vollkommnen und unvollkommnen Pflichten, dem Inhalte und den Gedanken nach, nicht nur zuzugeben, sondern auch mit guten Gründen zu bestätigen; dieselbe Theorie, die er in seiner Abhandlung über „Jerusalem" bestritten und verworfen hat. Er hat also bloß die Kunstwörter vollkommne und unvollkommne Pflichten und Rechte für unschicklich gehalten; und stimmt in der Sache, so viel ich einsehen kann, mit dem Verfasser Jerusalems" völlig überein. - Jedoch hier ist der Ort nicht, dieses zu erörtern. Ich kehre zu dem vorliegenden Streite zurück, und bitte mir die Erlaubniß aus, einige zum Grunde liegende Hauptbegriffe meiner Meinung vorzutragen.

Wenn ich weiß, daß der Genuß eines Guts nur unter einer gewissen Bedingung gewährt wird, und ich schicke mich an, dieses Gut zu genießen; so gebe ich eben dadurch zu verstehen, daß ich mir die damit verbundene Bedingung gefallen lasse. Wenn mir bekannt ist, daß gewisse Rechte nur unter der Bedingung eingeräumt worden, daß ich mich gewissen damit verbundenen Pflichten unterziehe, und ich gebe durch Worte oder durch Handlungen zu verstehen, daß ich mir die Rechte anmaße; so ist offenbar, daß ich mich eben dadurch verbindlich gemacht habe, die Pflichten zu erfüllen, unter welchen jene eingeräumt sind. Diese moralische Verpflichtung, sie mag ausdrücklich verabredet oder bloß aus den Handlungen abzunehmen seyn, gründet sich offenbar auf ein pactum; und wird in dem lehten Falle ein pactum tacitum genannt: ein Vertrag, der nicht ausdrücklich verabredet, aber doch aus dem Betragen und den Handlungen der Paciscenten mit Gewißheit anzunehmen ist.

Daß das moralische Band der Gesellschaft an diesem Grundfaße hange, leidet wohl keinen Zweifel. Was haben die Glieder eines Staats für Verbindlichkeit gegen das Ganze? Offenbar entspringt diese aus den Vortheilen des gesellschaftlichen Lebens,

die sie zum Theil genießen, zum Theil sich versprechen. Der Bürger eines Staats, der sich die Rechte und Vortheile anmaßt, die aus den Gesehen und der Staatsverfassung ihm zufließen, unterzieht sich eben dadurch den Pflichten, die ihm das Vaterland auferlegt. Wer auf alle Vortheile des gesellschaftlichen Lebens Verzicht thun, oder das Vaterland für die Nuhung der= selben schadlos halten kann, dem muß es frei stehen, sich auch den Pflichten des Bürgers zu entziehen und das Land zu verlassen. Bedenke, Sokrates", - läßt dieser Weise die Geseße seines Vaterlandes sprechen, im Falle er gesonnen wäre sich der Todesstrafe zu entziehen, die ihm, zufolge der vaterländischen Geseße, zuerkannt worden ist,,,bedenke, Sokrates, ob du nicht unbillig gegen uns verfährst. Wir haben dich gezeugt, erzogen und unterrichtet; wir haben dich und jeden atheniensischen Bürger, so viel bei uns gestanden, aller Wohlthaten theilhaftig gemacht, die das gesellschaftliche Leben gewähren kann. Und gleichwohl haben wir dir, und jedwedem, der sich zu Aihen niedergelassen, die Erlaubniß gegeben, wenn ihm unsere Staatsverfassung nach einer hinlänglichen Prüfung nicht ansteht, mit den Seinigen davonzugehen und sich, wohin er will, zu begeben. Die Thore von Athen stehn einem Jeden offen, dem es in der Stadt nicht ge= fållt; und er kann das Seinige ungehindert mitnehmen. Wer aber gesehn, wie es bei uns zugeht und wie wir Recht und Gerechtigkeit handhaben, der geht stillschweigend (d. i. nicht mit ausdrücklichen Worten, sondern durch eben so bedeutende Handlungen) einen Vertrag ein, sich alles gefallen zu lassen, was wir ihm befehlen; und wenn er ungehorsam ist, begeht er eine dreifache Ungerechtigkeit. Er ist ungehorsam gegen seine Ältern, ungehorsam gegen seine Zucht und Lehrmeister, und er übertritt den Vertrag, den er so gut als ausdrücklich mit uns eingegangen. ist." Das moralische Band der Gesellschaft, die Verpflichtung eines jeden Gliedes gegen das Ganze, beruht also, im Allgemeinen betrachtet, offenbar auf der Verknüpfung zwischen Genuß und Preis des Genusses, zwischen Rechten und Pflichten; einer Verknüpfung, die die moralische Kraft des Vertrages mit sich führt, fie mag übrigens ausdrücklich verabredet oder durch Handlungen zu verstehen gegeben worden seyn; d. h. in der Schulsprache: sie beruht auf einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrage. Eine andere Frage ist es: worauf gründet sich die obrigkeitliche Gewalt in jedem Staate insbesondere?

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Wie wird dieses allgemeine sittliche Band der Gesellschaft durch nåhere Bestimmungen eingeschränkt und abgeändert?

Jede Gesellschaft erfordert ihren Beitrag. Jedes Glied der= selben muß auf einen Theil seiner Rechte und Freiheiten, zum Besten des Ganzen, Verzicht thun; die Obliegenheit des Menschen, in Gesellschaft zu treten und sich einen Theil seiner natürlichen Rechte zu begeben, beruht hauptsächlich darauf, daß er als Mitglied mehr gewinnt, als er als Mensch verliert; und zwar in doppelter Rücksicht: einmal wird die Macht der einzelnen Theile durch den Zusammenhang zum Ganzen vergrößert; und also ist von dieser Seite schon der Antheil jedes Mitgliedes an den öffentlichen Gütern, wenn die Vertheilung im gehörigen Verhältnisse geschieht, größer als der Beitrag. Zweitens ist das Beitragen und die Aufopferung, selbst wenn es freiwillig ges schieht, eine Äußerung des Wohlwollens, die einen Theil der Glückseligkeit ausmacht. Wenn Andere durch meinen freiwilligen Beitrag gewinnen, so habe ich von dem überschusse meiner Kräfte den glücklichsten Gebrauch gemacht. Diese Beiträge zum allgemeinen Besten, so wie die Antheile der Mitglieder an demfelben, machen einen Inbegriff von Rechten und Pflichten, wos durch die Gesellschaft zu einer moralischen Person wird. Gesellschaftlicher Beitrag also und gesellschaftlicher Antheil, öffentliche Rechte und öffentliche Pflichten, wer soll diese handhaben? wo follen sie niedergelegt werden? wer soll die allgemeinen Regeln festsehen, nach welchen sie bestimmt werden sollen, und wer die Macht, diese Regeln in besondern Fällen in Ausübung zu bringen? welchen Personen im Staate soll die gefeßgebende, und welchen die ausübende Macht anvertraut werden?

Vergebens würde man sich auf den gesellschaftlichen Vertrag berufen, wenn die Frage ist: wie sind die verschiedenen Staatsverfassungen entstanden? Ausdrückliche Verträge sind nur an wenigen Orten in der Geschichte anzutreffen; und stillschweigende sind nur da anzunehmen, wo die Regierungsform bereits eingeführt ist, insoweit sich Jemand derselben unterwirft. Allein hier ist die Frage von dem Ursprung der verschiedenen Regierungsformen selbst; was bewog die Menschen dazu, ihre gesellschaftliche Beiträge bei gewissen Personen niederzulegen, und diese damit schalten zu lassen?

Man sieht, daß man hier zu dem Grundsage des Herrn Selle seine Zuflucht nehmen, und anerkennen muß, daß alle

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