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eine moralische, wirkliche oder scheinbare, Unvollkommenheit an der gehaßten Person, der Zorn aber nichts als eine vermeinte Beleidigung vorausseßt.

Der größte Theil der französischen Schriftsteller macht keinen Unterschied zwischen Furcht und Schrecken. Unser Schriftsteller giebt auch S. 270. von crainte und terreur nur eine einzige Erklärung, da doch diese Gemüthsbewegungen sehr verschieden sind, und sich auch durch ganz verschiedene Zeichen zu äußern pflegen.

Aristoteles sagt: „man fürchtet sich nicht, ungerecht zu ,,werden oder seinen Verstand zu verlieren, ob dieses gleich wirkliche Uebel sind; aber man fürchtet sich vor übeln, die unserm Leibe und Leben drohen". Wir würden uns nicht getrauen, ihm dieses so schlechterdings nachzusagen, wie solches von unserm Verf. S. 270. geschieht. Wir begreifen es nicht, warum die übel der Seele nicht wenigstens in gewiffen Fällen eben so sehr zu fürchten seyn sollten, als die Übel des Körpers. Würde fich ein Cato z. B. nicht mehr entsehen, wenn er in Gefahr stünde, seine Freunde niederträchtiger Weise zu verrathen, als wenn sein Leben bedroht würde?

S. 279. sagt der Verf.:,,um die Zuschauer in Furcht zu „sehen, muß man ihnen zeigen, daß sie wirklich in Gefahr kom,,men können, daß Leute von höherm Stande als sie öfters dergleichen übel auszustehen gehabt, wenn sie sich am sichersten ,,geglaubt haben. Hierin besteht das Kunststück der tragischen „Dichter, daß sie uns das Unglück der Könige und Großen ,,vorstellen, um uns zu zeigen, daß uns nicht weniger dergleichen „oder noch größere übel widerfahren können". Diese Anmerkung gründet sich auf die Meinung, daß wir bei der Vorstellung ei nes Trauerspiels für uns selbst fürchten, für uns selbst erschrecken. Allein man hat dieses schon sehr oft und gründlich widerlegt. Man hat gezeigt, daß die Furcht und das Schrecken, welche wir in einem Trauerspiele empfinden, bloß aus Mitleiden entspringen, und daß wir in diesem Augenblicke allzu viel für Andere empfinden, als daß wir für uns selbst in eine unzeitige Furcht gerathen follten. Wenn uns die Dichter das Schicksal der Könige und Großen vorstellen, so geschieht es, um uns in ein desto wichtigeres Interesse zu verwickeln, weil mit dem Schicksale der Könige mehrentheils das Schicksal des ganzen Staats verbunden zu seyn pflegt.

Aus eben diesem Grunde bedarf die Erklärung, die unser Verf. S. 311. von dem Mitleiden giebt, einer Verbesserung. Er sagt allda nach dem Aristoteles, daß das Unglück, welches uns bei andern Menschen zum Mitleiden bewegen soll, so be= schaffen seyn müsse, daß wir es auch für uns selbst fürchten können; wir möchten übrigens schon einft dergleichen ausgestanden haben, oder einsehen, daß es uns zustoßen könnte. Nichts ist unnöthiger als dieses; und die tägliche Erfahrung lehrt, daß wir bei der Erblickung eines Elenden von Mitleiden eingenommen werden, geseht auch, sein Unglück wåre so beschaffen, daß es uns selbst niemals treffen könne. Wer vergießt nicht Thránen über den Unstern des Ödip? obgleich die wenigsten Menschen in Gefahr sind, ihre Mutter zu heirathen und ihren Va= ter zu tödten. Wer bedauert nicht einen Agamemnon, wenn er auch überzeugt ist, daß die Götter niemals von ihm fordern werden, seine Tochter ihnen zum Opfer zu bringen?

Es ist wahr, wir sind gewohnt, uns bei der Erblickung eines Elenden in seine Stelle zu versehen, um in der Einbildung sein ganzes Unglück recht zu fühlen. Hieraus aber folgt keinesweges, daß die unangenehme Empfindung, die wir dabei haben, aus irgend einer Furcht entspringen follte. Nein! wir fürchten nichts für uns; aber wir nehmen so viel Antheil an dem Schickfale eines Unglücklichen, der unser Mitleiden erregt, daß es uns leicht wird, uns selbst in der Einbildung in seine Umstände zu versehen und mit ihm zu leiden. Daher sind Leute, die entweder äußerst glücklich oder äußerst unglücklich sind, wie Aristoteles bemerkt, am wenigsten zum Mitleiden aufgelegt. Jene können sich nicht leicht in Anderer Umstände versehen, diese aber finden, daß das Schicksal Anderer gegen das ihrige noch erträglich sei, und folglich kein sonderliches Mitleiden verdiene. Hingegen pfle gen diejenigen sehr zum Mitleiden geneigt zu seyn, die sonst vieles ausgestanden und sich jest in bessern Umständen befinden; wie Dido beim Virgil sagt:

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Non ignara mali, miseris succurrere disco.
Aen. Lib. I.

Alle diese Beispiele beweisen also nichts weniger, als was unser Verf. S. 313. dadurch zu beweisen glaubt, daß nåmlich kein Übel unser Mitleiden erregt, wenn es nicht einst uns selbst zustoßen und in solcher Absicht von uns gefürchtet werden könne.

Übrigens sind die Beispiele, die der Verf. zur Erläuterung

dieser philosophischen Materien hinzugethan, mit sehr viel Beurtheilungskraft gewählt; und es ist zu bedauern, daß die Poesien vornehmlich, deren eine große Menge angeführt werden, wie wir schon bemerkt, in der deutschen übersehung fast aller ihrer Schönheiten beraubt worden sind. Vielleicht hätte der überseher besser gethan, wenn er die Erempel alle bloß in Prosa überseßt hätte.

Von allen Leidenschaften und von ihren Wirkungen hat der Verf. Beispiele bei den Poeten gefunden, welche die Grundsåße des Aristoteles bestätigen; den Neid ausgenommen, als von welchem er S. 340. gesteht, daß er seines Wissens noch nicht auf die Schaubühne gebracht sei. Die Fürsten", sagt er,,,die ,,auf der Bühne vorkommen, besigen Ehrgeiz, wie Eteokles und Polynices, oder Eifersucht und ein lebhaftes, auffahrendes We,,fen, wie Britannicus und Nero; der Neid aber muß vermuthlich für die Majestät des Trauerspiels zu niedrig seyn; oder ,,man sucht ihn zu verbergen und die Beweggründe zu veredeln, ,,um die Zärtlichkeit der Zuschauer nicht zu beleidigen".

S. 341. bis am Ende des 3. Buches handelt er von den Sitten und Charakteren, welche aus der Verschiedenheit des Alters und des Standes entspringen. Diese Materie ist so wichtig, und für Dichter, Redner und Weltweise so unentbehrlich, daß wir uns etwas länger dabei aufhalten, und einen umståndlichen Auszug daraus liefern wollen *).

Die übrigen Abschnitte, von den Sitten der Reichen, der adeligen und der vornehmen Leute, enthalten keine so wichtige und philosophische Anmerkungen, daher wir sie mit Stillschweigen übergehen.

Fortsehung.

(aus der Bibl. der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 3. Stück 1. 1758. G. 29-56.)

Das fünfte Buch: von der Schreibart und von den Zierrathen einer Rede, und das sechste: von der äußerlichen Beredsamkeit, oder von der Action des Redners, scheinen uns einen etwas umständlichen Auszug zu verdienen. Die deutsche prosaische Schreibart ist seit einiger Zeit ziemlich aus der Art geschlagen.

*) Der Herausgeber unterdrückt diesen Auszug.

Man scheint die ersten Gründe der vollstimmigen und dennoch fließenden Periode des oratorischen Numerus und der Harmonie der prosaischen Schreibart vergessen zu haben. Einige haben ihre Ohren an übersehungen aus dem Engländischen verwöhnt, und liefern uns in ursprünglich deutschen prosaischen Schriften solche holprige Perioden, daß man schwören sollte, es wären überseßte englåndische Verse. Andere haben lauter zerstümmelte Hexameter in ihrer Prosa, dabei noch überdem ein jedes Hauptwort ein oder zwei vielsylbige Beiwörter nachschleppt, wodurch die Periode überaus ångstlich einhergeht, und endlich ekelhaft wird. Aus einem entgegengeseßten Fehler verlieben sich Andere in den stile coupé der Franzosen. Daher zerstückeln sie alles in kurze Perioden, alle von gleicher Långe, und scheinen mit kleinen Kinderschritten eine große Laufbahn durcheilen zu wollen *). Von Seiten der äußerlichen Beredsamkeit hat sich Deutschland unstreitig nicht viel zu schmeicheln, so lange sich das Theater in einem so schlechten Zustande befindet. Der Redner muß dem Schauspieler zwar keine Gestus abborgen, sagt Cicero; indessen wird er doch die wahre und äußerliche Beredsamkeit schwerlich erlangen, wenn er nicht die Schaubühne fleißig besucht. Wir müssen uns also indessen mit den Anmerkungen begnügen, die von unsern Nachbaren, bei denen die Schaubühne im Flor ist, gemacht worden sind, bis günstigere Umstände dem deutschen Theater aufhelfen.

Das dritte Hauptstück handelt von der Form der Schreibart; in dem ersten Abschnitte von der Wahl, und in dem zweiten von der Harmonie und Ordnung der Worte **).,,Der Übt d'Oli

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*) Die Beweise von dieser Anklage dürfen wir wohl nicht anführen; fie liegen leider der Welt häufig genug vor Augen. Inzwischen wollen wir zwei ganz neuerliche Beispiele der beiden äußersten Grade in der verdorbenen Schreibart nennen; nämlich von einer weitschweifigen und auf Stelzen einhergehenden Schreibart die „Schilderungen aus dem Reiche der Natur und der Sittenlehre"; und von dem Gegentheil, von einer kurz abgeschnittenen und kindisch gezwungenen Schreibart, gewisse,,Briefe an die Kristen", deren Denkungsart öfters eben so seltsam ist, als die Orthographie und Schreibart. Ist es doch, als wenn die Deutschen allenthalben das Natürliche verlassen wollten, um nach geschminkten Schönheiten oder nach Flittergold zu laufen!

**) Der Herausgeber unterdrückt hier wieder einen längeren Auszug.

vet" *), sagt der Verf., erklärt den oratorischen Numerus „durch eine Art von Modulation, die sowohl aus der Quan,,tität der Sylben, als aus der Beschaffenheit und aus der Ord,,nung der Worte entspringt". (Worin ist dieser aber eigentlich von dem poetischen Numerus unterschieden? Håtte der Hr. d'Olivet diesen Unterschied nicht mit in die Erklärung bringen follen ?)

,,Die erste Ursache der Modulation", fährt er fort, liegt ,,in der Quantität der Sylben, aus welchen eine gewisse Redens,,art zusammengesett ist. Man muß die langen und kurzen ,,Sylben nicht ohne Wahl durch einander werfen, sondern sie ,,dergestalt ordnen, daß sie dem Ohr ein Wohlgefallen erwecken, „indem sie das Aussprechen bald beschleunigen, bald aufhalten.“ Unser Verf. bemerkt hier, daß sich diese Regel mehr auf die todten, als auf die lebenden Sprachen bezieht, weil die Quantitåt der Sylben in den lehtern nicht so bestimmt ist. Wir haben nicht nöthig zu erinnern, daß sich dieses mit weit wenigerm Rechte von der deutschen als von der französischen Sprache sa= gen läßt. Ob übrigens die Anmerkung richtig ist, die unser Verf. macht: daß, überhaupt zu reden, die Worte, welche aus kurzen Sylben bestehen, mehr Feuer und Heftigkeit haben, die aber aus langen Sylben bestehen, annehmlicher und majeståtischer sind; können wir hier nicht untersuchen.

Ferner muß man in Ansehung der Beschaffenheit der ,,Worte bemerken, ob sie einen starken oder schwachen, langsamen ,,oder schnellen, rauhen oder gelinden Schall erfordern. E3 ,,trägt viel zur Harmonie bei, wenn man alle diese Gattungen gehörig zu versehen weiß. Der rauheste Ton kann in der Zusammensehung gemildert, und der schwächste stärker gemacht ,,werden.

„Endlich giebt er (d'Olivet) die Ordnung der Worte für ,,die leßte Ursache des Wohlklanges an. Man muß öfters Worte ,,und fogar ganze Glieder einer Redensart verseßen, nicht nur „um deutlicher und nachdrücklicher zu werden, sondern auch nicht ,,selten des Wohlklangs halber".

Hieraus glaubt unser Verf. folgern zu können: „daß der „Wohlklang in einem richtigen Verhältniß der Theile einer jeden

*) Prosodie françoise p. 125.

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