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ist: die Welt ist zu ungeduldig, das ganze Werk abzuwarten; man urtheilt von einem Theil auf das Ganze, man ta= delt, vertheidigt, und rathet dem Verfasser; endlich ermangeln alle diese, vielleicht voreilige Betrachtungen doch nicht, ihren Nuhen, zu haben.

Man müßte auf die Erfindung dieser Wissenschaft neidisch seyn oder sie nicht verstehen, wenn man an dem Nußen und an der Vortrefflichkeit derselben zweifeln wollte. Die Verbes ferung des Geschmacks und der untern Kräfte der Seele überhaupt ist für die schönen Wissenschaften, für die Sittenlehre, und vielleicht für alle Wissenschaften überhaupt, von allzu großer Wichtigkeit, als daß sie nicht einem Jeden in die Augen leuch ten sollte. Wer nun überdem bemerkt, wie seicht, unbestimmt und gleichsam obenhin die größten Kunstrichter zu philosophiren pflegen, wenn, sie von den Urtheilen ihres Geschmacks Grund anzeigen wollen und auf die ersten Grundsähe der schönen Erkenntniß zurückkommen; der kann es unserm Weltweisen nicht genug verdanken, daß er den philosophischen und systematischen Geist in eine Wissenschaft eingeführt hat, in welcher man nur zu schwagen gewohnt war; und daß er uns richtige Erklärungen uud gründliche Beweise, statt der sonst üblichen Umschreibungen und flüchtigen Råfonnements, geliefert hat.

Allein uns dûnkt, daß der Erfinder dieser Wissenschaft der Welt nicht alles geliefert habe, was seine Erklärung des Wortes Ästhetik verspricht. Die Ästhetik soll eigentlich die Wissenschaft der schönen Erkenntniß überhaupt, die Theorie aller schönen Wissenschaften und Künste enthalten; alle Erklärungen und Lehrfäße derselben müssen daher so allgemein seyn, daß sie ohne Zwang auf jede schöne Kunst insbesondere angewendet werden können. Wenn man z. B. in der allgemeinen Ästhetik erklärt, was erhaben sei, so muß sich die Erklärung sowohl auf die erhabene Schreibart, als auf den erhabenen Contour in der Malerei und Bildhauerkunst, auf die erhabenen Gånge in der Musik, und auf die erhabene Bauart anwenden lassen; denn alle diese Künste haben ihren niedrigen, mittelmäßigen und erhabenen Styl. Erklärt man, was die Schönheit in den Gegenständen sei, so muß diese Erklärung einer allgemeinen algebraischen Formel gleichen, zu welcher man nur noch einige Bestimmungen hinzuzuthun hat, um die verschiedenen Arten der Schönheit in den Gedanken, in der Sprache, in den Figuren, Linien und

Bewegungen, und endlich in den Tönen und Farben nåher erklåren zu können. Dieses fordert man mit Recht von einer Ästhetik, von einer Theorie der Schönheit überhaupt.

Betrachtet man aber die Ästhetik das Hrn. Prof. Baumgarten, oder die Anfangsgründe des Hrn. Meier (denn die lehtern sind nichts als eine weitläuftigere Ausführung der erstern), so scheint es, als wenn man bei der ganzen Einrichtung des Werks bloß die schönen Wissenschaften, d. i. die Poesie und Beredsamkeit, zum Augenmerke gehabt hätte. Nicht nur alle Beispiele sind aus diesen entlehnt (welches gewiß unschicklich ist, wenn die Grundsäge und Erklärungen allgemein seyn sollen), sondern der ansehnlichste Theil der abgehandelten Materien bezieht sich offenbar bloß auf die Poesie und Beredsamkeit; und wo die Erklärungen irgend ja allgemein sind, da zeigt es sich mehrentheils, daß sie nur in Absicht auf diese Gattung der schönen Erkenntniß die Fruchtbarkeit haben, welche man sich von den Erklärungen eines Baumgarten versprechen kann, in den übrigen schönen Künsten aber von keinen erheblichen Folgen sind.

Man glaube ja nicht, daß man nur die Natur der untern Kräfte zu untersuchen habe, um auf Folgerungen zu gelangen, die in allen schönen Künsten und Wissenschaften zu fruchtbaren Grundsähen dienen können. Dieser Leitfaden führt uns nicht sehr weit. So wenig der Weltweise die Erscheinungen in der Natur, ohne Beispiele der Erfahrungen, bloß durch Schlüsse a priori errathen kann, eben so wenig kann er die Erscheinungen in der schönen Welt, wenn man sich so ausdrücken darf, ohne fleißige Beobachtungen ergründen. Der sicherste Weg allhier, so wie in der Naturlehre, ist dieser: man muß gewisse Erfahrungen annehmen, den Grund derselben allenfalls durch eine Hypothese erklären, alsdann diese Hypothese gegen Erfahrungen von einer ganz verschiedenen Gattung halten, und nur diejenigen Hypothesen, welche durchgehends Stich halten, für allgemeine Grundsäge annehmen; diese Grundsäße muß man endlich in der Naturlehre durch die Natur der Körper und der Bewegung, in der Ästhetik aber durch die Natur der untern Kräfte unserer Seele zu erklären suchen. Alsdann nur kann man hoffen, ein System aufzurichten, das mit der Natur und mit der Wahrheit übereinkommt, und eben so gründlich als fruchtbar ist.

Versucht man dieses, so wird man erfahren, daß uns eine jede besondere Art der schönen Künste auf Entdeckungen leitet,

die sich nachher zwar mit einiger Veränderung auf alle Arten derselben anwenden lassen, auf welche uns aber weder die Vernunft, noch die fleißigste Beobachtung der übrigen Künste ge= bracht haben würde. Eine Anmerkung, die in der Musik z. B. klar und leicht zu machen ist, kann nach geschehener Reduction ihren Nußen in der Baukunst und Malerei haben, ob sie gleich ohne diesen Kunstgriff der Erfindungskunst vielleicht niemals in derselben entdeckt worden wäre. So bringt uns die Beobachtung, daß diejenigen Laute, deren Schwingungen sich in leicht zu fassenden Verhältnissen ausdrücken lassen, wohlklingend, und im Gegentheile übellautend sind, auf die Entdeckung der Ursache, warum ein allzu sehr verschlungener Tanz, warum gothische Zierrathen an einem Gebäude, ob sie gleich einer gewissen Ordnung folgen, dennoch nicht gefallen können. Die Austheilung von Licht und Schatten in der Malerei führt uns auf die allgemeine Lehre von dem ästhetischen Lichte und dem ästhetischen Schatten, die in allen schönen Künsten und Wissenschaften von unsäglichem Nußen sind, u. s. w.

Eine Ästhetik also, deren Grundsäge bloß entweder a priori geschlossen, oder bloß von der Poesie und Beredsamkeit abstrahirt worden sind, muß in Ansehung dessen, was sie hätte werden können, wenn man die Geheimnisse aller Künste zu Rathe gezogen håtte, ziemlich eingeschränkt und unfruchtbar seyn. Daß aber die Baumgarten'sche Ästhetik wirklich diese eingeschränkte Gränzen hat, ist gar nicht zu läugnen. Wir wollen die Hauptstücke der deutschen Ästhetik zu diesem Endzwecke vor uns nehmen, weil diese bis jest vollständiger ist als die lateinische.

Der erste Theil der Meier'schen Anfangsgründe handelt von den verschiedenen Arten der Schönheit der sïnnlichen Erkenntniß. Allein man findet nichts anders erwähnt, als die Schönheit der Gedanken. Der Figuren, Linien, Bewegung, Töne und Farben wird mit keiner Sylbe gedacht; und alle Lehren und Grundsäge sind so vorgetragen, als wenn diese leßteren Schönheiten gar keinen Anspruch auf dieselben machen könnten. Die verschiedenen Grade des Styls, der ästhetische Reichthum, Größe und Würde, das sinnliche Leben u. f. w. sind nur in Absicht auf solche Schönheiten ausgeführt worden, welche vermittelst der Sprache ausgedrückt werden; und dieses sind die Poesie und die Beredsamkeit.

Der zweite Theil handelt von den finnlichen Kräften der

Seele, und' von ihrer Verbesserung. Dieser Theil ist zwar sehr philosophisch ausgeführt, allein er gehört theils zur Ethik, theils zur Psychologie. Die allgemeine Ästhetik seht ihn viel mehr zum voraus, als daß sie sich aufhalten sollte, ihn zu lehren. Dieser Einwurf ist von keiner Erheblichkeit. Wir gestehen es gern; man kann aber so viel daraus ersehen, daß der zweite Theil nicht tiefer in die Geheimnisse der schönen Künste eindringe, als der erste.

In dem dritten Theile wird erstlich von schönen Begriffen, schönen Urtheilen und schönen Schlüssen gehandelt. Abermals nichts von den Künsten. Statt der Lehre von der ästhetischen Methode, welche hierauf folgt, hatten wir eine allgemeine Theorie der ästhetischen Ordnung erwartet, welche nicht nur auf die schöne Lehrart, sondern auch auf die Ordnung in der Baukunst, auf die Ordnung in der Malerei, so wie auf die Ordnung in der Musik muß angewendet werden können. Endlich folgt die Semiotik, oder die Lehre von der Bezeichnung der Gedanken. Allhier wird nun ausdrücklich bloß von willkührlichen Zeichen ge= handelt. Kaum wird §. 711. 712. der natürlichen Zeichen mit einigen Worten gedacht, so fährt Hr. Meier schon §. 713. fort: ,,weil die Rede das vornehmste Zeichen schöner Gedanken ist, fo will ich bloß die Grundregeln festsehen, nach welchen die Schönheiten der Rede bestimmt werden müssen". Wir halten zwar die Rede für das vornehmste Zeichen der Gedanken", aber nicht der „Schönheiten“. Man übergeht unsers Erachtens den wichtigsten Theil der Semiotik, wenn man nicht auch ausführlich und fruchtbar von den natürlichen Zeichen der Schönheit, von ihrer Verbindung mit den willkührlichen, von ihren Gränzen in einer jeden Kunst u. s. w., insoweit sie zur allgemeinen_theoretischen Ästhetik gehören, handeln will.

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Alle diese Anmerkungen finden nur alsdann statt, wenn man die Ästhetik als die allgemeine Theorie aller schönen Wissenschaften und Künste angesehen wissen will. War aber die Absicht des Erfinders, bloß die allgemeine Theorie der Dichtkunst und Beredsamkeit zu schreiben, so kann man dieses Werk für eines von den wichtigsten unter den philosophischen Schriften halten, die Deutschland Ehre bringen. Die Weltweisheit macht dadurch eine neue Eroberung, und eignet sich einen ganzen Theil der menschlichen Erkenntniß zu, der man vorher den Namen Wissenschaft nicht geben konnte, ohne dieses Wort zu mißbrauchen.

Alle Liebhaber der schönen Wissenschaften wünschen ohne Zweifel dem Hrn. Prof. Baumgarten Gesundheit und Muße, annoch den „practischen Theil" hinzuzuthun, damit ein Anderer auf diesen Grund bauen und eine philosophische Poetik und Rhetorik verfertigen könne, in welcher die Erklärungen eben so bestimmt, die Beweise eben so überzeugend und so bündig wären, als man sie in allen übrigen Theilen der Weltweisheit zu finden gewohnt ist.

Das Recht der Vernunft, in fünf Büchern, von M. G. Lichtwer, Königl. Preuß. Hof- und Regierungs-Rath_im Fürstenthum Halberstadt. Leipzig, verlegt's Bernhard Christoph Breitkopf 1758. 127 S. in 4°.

(aus der Bibliothek der schönen Wiss. und der fr. K. Bd. 3. Stück 2. 1758. G. 263--280.)

Herr Lichtwer, der mit seinen Fabeln den Beifall der Kenner erworben, wagt sich jezt in ein ander Feld, in das weitläuftige Feld des Lehrgedichtes, und trägt die wichtigsten Wahrheiten des Rechts der Natur und der Sittenlehre in der Sprache der Dichter vor.

Einige Kunstrichter scheinen Fabeln und Lehrgedichte für Werke von einerlei Art zu halten, weil beide moralische Gedichte find. Es wird nöthig seyn, dieses Vorurtheil zu widerlegen, bevor wir fortfahren. Was ist eine Fabel? Der Vortrag einer allgemeinen Marime, eines allgemeinen Lehrsages, auf eine einzelne schöne Erdichtung angewendet. Der Fabeldichter wählt also einen allgemeinen Sak; giebt dem Prådicat sowohl als dem Subject alle die Bestimmungen wieder, die der Weltweise davon abgesondert hat, und führt sie dadurch auf eine individuelle Be= gebenheit zurück. Diese Begebenheit verwandelt er in eine schöne Geschichte, die er in einen schönen Ausdruck einkleidet, und entweder dramatisch oder historisch vorträgt. Um die Beweise seines Sakes bekümmert er sich nicht. Das Exempel ist ihm Beweises genug.

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