페이지 이미지
PDF
ePub

ad unicam legem virium in natura existentium. Auctore P. Rogerio Josepho Boscovich S. J. Seine Theorie, sagt der Verf., stimmt in einigen Stücken mit Leibnizens, in andern mit Newton's Gedanken überein; in den meisten aber geht sie von beiden ab. Alle Ihre Freunde wünschen Ihr Urtheil über dieses Werk zu vernehmen. Sie sind lange genug Zuschauer gewesen, und mögen nun einmal selbst auftreten!

Ihnen aber die Mühe in etwas zu erleichtern, will ich Ihnen vorläufig einen kurzen Begriff von dem System dieses Paters vorlegen. Aber, wie gesagt, mein Urtheil behalte ich in petto.

Das ganze System des Herrn Boscovich beruht auf dem Gefeße des Stätigen. Der Pater erklärt dieses allgemeine Geseb der Natur folgendergestalt: wenn eine Quantität aus einer „Größe in die andere übergeht, so muß sie alle mittlere Größen ,,durchreisen, die zwischen den beiden Gränzen anzutreffen sind". In währender Veränderung also kommt jedem Augenblicke der Zeit ein bestimmter Zustand zu, der sowohl von dem vorhergehenden als von dem folgenden unterschieden ist. So wie aber die Dauer in einem fort geht, und jeder Augenblick nur gleichsam als der Übergang von der vorhergehenden in die folgende Zeit anzusehen ist; eben also betrachtet Hr. Boscovich den Zustand, welcher jedem Augenblicke zukommt, nur als die gemeinschaftliche Gränze zwischen der vorigen und der folgenden Größe. Will man die Dauer durch eine geradlinige Are, und die verschiedenen Zustände durch darauf stehende senkrechte Linien ausdrücken, so wird jedem Punkte der Are eine eigene senkrechte Linie zukommen; und die Gränzen aller dieser Linien werden eine einzige krumme Linie ausmachen, die nirgend durch Spigen oder Winkel unterbrochen ist, und in ihren kleinsten Theilen nirgend zur geraden Linie wird.

Daß ein solches Gesez in der Natur wirklich statt finde, beweist Hr. Boscovich einmal durch die Induction. So weit unsere Sinne reichen, geht keine Veränderung in der Natur vor, ohne daß dieses Gesetz auf das allergenaueste beobachtet werde. Es geschieht kein Wachsthum, keine Verringerung durch einen Sprung. Kein Körper wird aus einem Orte in den andern vers feßt, ohne den dazwischen liegenden Raum zu durchstreichen. In Ansehung der natürlichen Veränderungen, bei welchen eine Folge auf einander statt findet, hat dieses seine allergenaueste Richtigkeit. In Ansehung der neben einander seienden Dinge aber,

allwo nach der Meinung des P. Boscovich das Gesez des Ståtigen weder nothwendig ist, noch auf das genaueste beobachtet werden kann; scheint ihm die Natur dennoch eine Art von Ståtigkeit zu affectiren, und zwischen den Gränzen einer Quantitåt alle mittlere Grade mitzunehmen. Die Exempel, die er hiervon anführt, find sonderbar. Sie mögen sie aber in dem Werke selbst nachschlagen.

Der Pater fährt fort zu schließen: die Stätigkeit in den Veränderungen ist also eine durchgängige Beobachtung. Nun steht unsere Art, die Veränderungen der Dinge wahrzunehmen, in keiner solchen Verbindung mit diesem Geseße, daß wir uns bereden könnten, es fånde nur da statt, wo uns die Veränderungen in die Sinne fallen; so wie etwa die Farben oder die Ausdehnung, in Ansehung welcher der Schluß von dem Sichtbaren auf das Unsichtbare fehlerhaft wäre, weil sie selbst nur allzu sehr von der Art, wie wir uns die Dinge vorstellen, abhangen. Es ist also vielmehr zu vermuthen, die Natur habe sich das Geset der Stätigkeit in allen ihren Wirkungen ohne Ausnahme vorgeschrieben, dergestalt, daß es auch da statt findet, wohin unsere Sinne nicht reichen.

Hr. Boscovich beweist sein allgemeines Gesez aber auch auf eine demonstrative Art. Er seht zum voraus, die Dauer sei in ihrer Folge ståtig; ein jeder Augenblick sei, wie wir oben berührt, als die gemeinschaftliche Gränze des vorhergehenden und des folgenden zu betrachten. Es giebt also keine zwei Augenblicke, die sich einander die nächsten wären, d. i. zwischen welchen nicht eine wirkliche Dauer, eine wirkliche Folge anzutreffen seyn sollte; so wenig es in der mathematischen Linie zwei Punkte, in der Fläche zwei Linien, oder in dem Körper zwei Flächen giebt, die sich einander berühren und einander die nächsten sind. Die Zeit ist folglich nirgend getrennt, allenthalben ståtig; daher muß auch der Fortgang der Veränderungen nirgend unterbrochen, sondern allenthalben ståtig seyn. Denn wären die Veränderungen irgend wo unterbrochen, so müßte ein Sprung geschehen. Da, wo der Sprung geschähe, würde die Dauer des vorhergehenden Zustandes von der Dauer des folgenden wirklich getrennt, und die beiden Gränzen, oder der lezte Augenblick der vorigen und der erste Augenblick der folgenden Zeit, sich einander die nächsten seyn; welches ungereimt ist. Will man nun diese Ungereimtheit ver

meiden, so muß man zugeben, daß die Veränderungen eben so stätig sind als die Zeit.

Daß aber die Gefeße der Bewegung der vollkommen harten Körper mit dem Gesehe der Ståätigkeit nicht bestehen können, ist bereits von Leibnih dargethan worden. Denn wenn zwei vollkommen harte Körper an einander stoßen, so müssen sie nach der Berührung entweder plößlich ruhen, oder beide sich mit gleicher Geschwindigkeit nach eben der Richtung fortbewegen. Beides. kann nicht anders als vermittelst eines Sprunges geschehen; denn sie haben keine Federkraft, und ihre inneren Theile sind nicht so veränderlich, daß sie sich ihre Geschwindigkeiten sollten nach und nach mittheilen können.

Dieser Schwierigkeit abzuhelfen, sprechen die Leibnizianer den vollkommen harten Körpern, wie bekannt, das Daseyn ab. Allein Hr. Boscovich meint, die Körper möchten beschaffen seyn, wie sie wollten, so müßte man doch in der fortgesetten Theilung zuleht auf Theile kommen, die sich nicht mehr zusammendrücken ließen; und diese würden sich bei der Berührung ihre Geschwindigkeiten plößlich mittheilen müssen. Wollte man allenfalls auch diese Theile läugnen, so würde man, wie Hr. Boscovich glaubt, nichts gewinnen. Denn sollen sich die Körper wirklich berühren, so müssen sie sich in Flächen, oder in Linien, oder in Punkten berühren. Flächen, Linien und Punkte, sagt Hr. Boscovich, find wirkliche Affectionen der Körper. Die Flächen sind die wirklichen Gränzen der Körper, so wie die Linien der Flächen, und die Punkte der Linien. Nun mögen sich die Körper, in welchen von diesen Affectionen man will, berühren; so müssen sie sich die Geschwindigkeiten plößlich mittheilen, und die Verånderungen können nicht so allmålig geschehen, wie es das Geset des Ståtigen mit sich bringt.

Wie ist dieser Schwierigkeit abzuhelfen? Hr. Boscovich glaubt, man müsse eine Quelle der Bewegung annehmen, vermöge welcher die Geschwindigkeiten der Körper nicht. erst bei der wirklichen Berührung, sondern von ferne, sobald sie sich einander nåher kommen, verändert werden. Das bekannte Gesetz der Natur von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung erfordert, daß man beiden Körpern einen gleichmäßigen Antheil an dieser Veränderung zuschreibe. Daher wird man darauf geleitet, beiden Körpern eine zurückstoßende Kraft beizulegen, welche die Ge= schwindigkeit, mit der sie sich nåhern, schon von ferne nach der

allergenauesten Stätigkeit allmålig verringert, bis sie sich einander nicht mehr nähern, d. h. bis sie entweder ruhen, oder beide sich nach eben der Richtung mit gleicher Geschwindigkeit fortbewegen, welches bei der Bewegung der vollkommen harten Körper ge= schieht.

Damit aber das Gesetz der Stätigkeit niemals übertreten werde, muß diese angenommene Zurückstoßungskraft fähig seyn, eine jede Geschwindigkeit zu tilgen, mit welcher sich nur zwei Körper einander nåhern können; d. h. diese Kraft muß zunehmen, wenn sich die Körper näher kommen; und wenn sie sich am nächsten sind, d. i. wenn sie sich völlig berühren, muß sie unendlich groß seyn. Bestimmter zu reden: die Körper müssen sich einander desto näher kommen, je größer die Geschwindigkeit ist, mit welcher sie sich nähern; niemals aber müssen sie sich völlig berühren können; denn für jede gegebene Geschwindigkeit muß es auch eine gewisse Distanz geben, in welcher sie durch die Zurückstoßungskraft völlig anfgehoben wird, und die Körper nicht mehr antreiben kann, sich einander zu nåhern. Der Beweis hiervon ist leicht. Denn gesezt, die Zurückstoßungskraft sei nun groß genug, eine gewisse respective Geschwindigkeit zweier Körper, die sich einander nåhern, dergestalt zu verringern, daß sie bei der wirklichen Berührung verschwindet; so würden Körper, die fich mit einer größern Geschwindigkeit einander näherten, bei der Berührung sich entweder durchdringen, oder sich ihre Ge= schwindigkeit plöglich mittheilen müssen; beide Fälle aber laufen wider unveränderliche Geseße der Natur. Folglich muß es keine Geschwindigkeit geben, die nicht bei einer gewissen Annäherung der Körper getilgt werden sollte.

Da nun Hr. Boscovich keine völlige Berührung zugiebt, so können Sie sich leicht vorstellen, was er mit den Körpern anfangen wird. Er seht sie aus wirklichen Punkten zusammen, die sich einander nicht berühren, sondern im leeren Raume zerstreut sind. Wenn sie sich berührten, sagt Hr. Boscovich, so müßten sie nothwendig zusammenfließen; denn als Punkte haben sie keine verschiedene Seiten, wie die Körper. Diese Schwierigs keit, glaubt Hr. Boscovich, habe es immer noch mit den Leibnigischen Monaden sowohl, als mit den Zenonischen Punkten; und die Leibnizianer würden sie nimmermehr heben können. Seine Punkte aber können nicht zusammenfließen, weil sie sich nicht berühren; denn er hat ihnen Zurückstoßungskräfte zugegeben,

mit welchen sie sich wechselsweise immer in einer gewissen Ents fernung erhalten.

Denken Sie aber ja nicht, Hr. Boscovich habe sich begnügt, seinen Punkten bloß zurückstoßende Kräfte zuzuschreiben. Dieses würde mit gewissen Erscheinungen in der Natur streiten, welche beweisen, daß es auch anziehende Kräfte giebt. Er behauptet vielmehr, und dieses ist das Eigenthümliche seines philosophischen Systems, daß die Kräfte der Punkte sich nach den Entfernungen richten, und daß sie zu verschiedenen Distanzen bald positiv, bald zero, bald negativ werden; wodurch die Körper bald sich anziehen, bald ruhen, bald sich von einander entfernen. Der Übergang von der positiven zur negativen Kraft, und umgekehrt, kann nach dem Geseze der Stätigkeit geschehen. Denn da sowohl das Positive als Negative eine wirkliche Quantität ist, die durch allmålige Verminderung oder Vermehrung eine aus der andern entstehen können; so können auch die Linien, welche in verschiedenen Distanzen die Kräfte ausdrücken, durch allmålige Ab und Zunahme von dem Positiven durch das Zero ins Negative, und umgekehrt, übergehen.

[ocr errors]

Und eben daher glaubt Hr. Boscovich alles durch eine einfache Kraft bewerkstelligen zu können. Eben dieselbe Kraft, sagt er, kann nach einem einfachen Geseze dergestalt abgeändert wer= den, daß sie bald anziehend, bald zurückstoßend werde. Um uns einen Begriff von diesem Geseze zu machen, sucht er den Zug der krummen Linie zu beschreiben, dadurch ungefähr ein solches Gefeß ausgedrückt werden könnte.

(Der Beschluß des Briefes in der folgenden Nummer.)

XXIV. Den 14 Juni 1759.

Beschluß des 42ften Briefs.

Es ist in der höhern Mathematik eine sehr bekannte Sache, daß öfters nach einem einfachen Gefeße eine krumme Linie be= schrieben werden kann, die den Augen noch so intricat scheint

« 이전계속 »