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VI. Den 8 Nov. 1759.

66ster Brief.

Wie kommt es, fragen Sie, daß es in der Malerei und Bildhauerkunst eine Idealschönheit, und überhaupt in allen schö@nen Künsten aliquid immensum infinitumque giebt, das sich die Künstler in der Einbildung zum Muster vorstellen? und bloß die Dichter sollten, nach dem Ausspruche Plutarchs, genöthigt I seyn, Gutes mit Bösem, und also Schönes mit Häßlichem zu vermischen? Ich gestehe es, dieser Einwurf hat einigen Schein. Es scheint seltsam, daß die vollkommenste Tugend, diese unendIliche Schönheit der Seele, dem Maler des Geistes nicht eben O das Urbild seyn sollte, was die vollkommenste Schönheit der 1 Figuren für den Maler der Körper ist. Warum hat dieser seinen Endzweck erreicht, wenn er seinen hohen Begriff von der vollkommensten Schönheit nach der Verschiedenheit des Alters, Geschlechts und der übrigen Mannigfaltigkeiten schattirt? und warum wird von dem Dichter ausdrücklich eine Vermischung von moralischem Bösen gefordert?

Bemerken Sie hier noch einen Umstand, der uns vielleicht nåher zum Ziele bringen wird. In allen schönen Künsten ist das Idealschöne am allerschwersten zu erreichen; und die größten Meister sind glücklich, wenn sie ihm nur nahe gekommen sind. Die vollkommen tugendhaften Charaktere aber machen dem Dichter die wenigsten Schwierigkeiten. Ich weiß, daß Richardson mit seinem vollkommenen Grandison leichter fertig geworden, als mit seiner Clementina; und vielleicht auch mit der Clarissa_leichter, als mit dem Lovelace. Ein deutsches Erempel anzuführen: wer wird läugnen, daß der Charakter des Canut ungleich leichter durchzusehen gewesen, als der Charakter des Ulfo? Ich schließe hieraus, daß die Dichtkunst, als schöne Kunst betrachtet, eine ganz andere Idealschönheit habe, als die fittliche Vollkommenheit der Charaktere.

Wir müssen die philosophische Sittenlehre nicht mit der Epopee verwechseln. In jener ist eine vollkommene Tugend, oder die großeste Fertigkeit, in allen Vorfällen feine Handlungen nach den Vorschriften der Vernunft einzurichten, der erhabenste

Gegenstand menschlicher Betrachtung, das Idealschöne, das den Sittenlehrern zwar leicht zu schildern, dem Menschen aber unendlich schwer nachzueifern, und unmöglich zu erreichen ist. Diese Tugend in leiblicher Gestalt würde uns der allerliebenswürdigste Gegenstand seyn; allein unter die erdichteten Personen eines dramatischen Stücks muß sie sich selten mischen. Die Absicht des Drama ist, die Handlungen und Gemüthsneigungen der Menschen nach dem Leben vorzustellen, und gesellige Leidenschaften zu erregen. Seine Idealschönheiten sind also solche Charaktere, die zur Erreichung dieser Absichten die allerglücklichsten sind; und siehe! die vollkommen tugendhaften Charaktere sind es am wenigsten. Wenn ich die Wahl hätte, so wollte ich freilich lieber der fromme Aeneas, der strenge Cato des Addison, als der jähzornige Achilles oder der eifersüchtige Othello seyn;aber erdichtet haben? Auf diese Frage würde ich mich zum Besten der Lestern erklären. Sie geben mehr Gelegenheit zu Handlungen, fie erregen heftigere Leidenschaften; ihre Erdichtung hat dem Dichter eine größere Anstrengung des Geistes gekostet. Kurz, sie kommen der poetischen Idealschönheit nåher, sie sind in ihrer Art vollkommen.

So erhaben, so göttlich der Charakter des Cato in der Natur ist, so wenig nimmt er sich in der Nachahmung aus. In der Natur entzückt er; die Standhaftigkeit in den größten Gefahren, und troß aller verführerischen Leidenschaften nach den Gesehen der Natur zu handeln, die herrliche Übereinstimmung der sinnlichen und vernünftigen Begierden erregt Liebe, Bewunderung, uud den stillen Wunsch, über unsere eigene Begierden eben so viel Gewalt zu haben. Allein in der Nachahmung? was kann hier für Bewunderung statt finden? Der Dichter hat keine Leidenschaften zu besiegen; und also kann er seinen erdich teten Personen so viel philosophische Gleichmüthigkeit geben, als er immer will. Es ist keine Kunst, die Schule des Sokrates zu plündern und sich einen rechtschaffenen Mann danach zu dichten, so schwer es auch seyn mag, sein eigenes Leben danach einzurichten. Womit soll uns also der Nachahmer interessiren? Ich weiß ein einziges Mittel: er muß die Illusion so weit treiben, daß wir die Sache selbst, und nicht die Nachahmung zu sehen glauben. Nur alsdann kann der Künstler seiner Nachahmung einen Theil von der Bewunderung versprechen, die der Sache selbst in der Natur zukommt. Allein wodurch ist dieser

glückliche Betrug zu erhalten? Bloß durch die künstliche Erregung der Leidenschaften. Nur diese sind mächtiger als die Sinne, und verführen die Seele, die täuschenden Vorstellungen für wirklich zu halten; daher interessirt die vollkommene Tugend in der Nachahmung nur alsdann, wenn sie zur Action Gelegen= heit giebt; wenn sie Leidenschaften erregt, und vermittelst der= selben den Leser oder Zuschauer täuscht, daß er eine Wirklichkeit vor sich zu haben glaubt; d. h. wenn sie mit der poetischen Idealschönheit verbunden werden kann; und wie selten ist dieser Fall!

Plutarch hat also Recht, wenn er die vermischten Charaktere den vollkommen tugendhaften vorzieht; aber der Grund ist falsch, den er davon angiebt. Nicht weil in der Natur Böses mit Gutem vermischt ist; der Künstler hat ja die Freiheit, die Natur zu verschönern. Warum kann er dieses in Ansehung der Schönheit? warum in Ansehung der Leibesstärke, der Tapferkeit und der übrigen Naturgaben? Homers Helena ist schöner als die Natur, sein Achilles tapferer, und vielleicht sein Nestor weiser. Nur die Tugend hat er in der Epopee nicht bis auf den höchsten Gipfel treiben wollen, weil sie in den mehrsten Fällen den Absichten des Dichters zuwider ist und sich nicht mit seiner Idealschönheit verbinden läßt.

Die Alten scheinen dieses überhaupt vortrefflich eingesehen zu haben. In ihren prosaischen Erzählungen, die mehr die Ab= sicht haben, den Verstand zu erleuchten als das Gemüth zu bewegen, trugen sie kein Bedenken die vollkommensten Charaktere den Sterblichen zur Nachahmung vorzubilden. Aber sie hätten mehr als stoisch gesinnt seyn müssen, wenn sie ihren vollkomme nen Weisen für alles in allem, und sogar für die geschickteste dramatische Person gehalten hätten. Ich weiß kein einziges dramatisches Stück von den Alten, in welchem vollkommen tugendhafte Personen vorkommen sollten. Ich nehme weder den Oedip noch die Alceste aus, so sehr Sie auch geneigt scheinen, diese beiden Charaktere für moralische Idealschönheiten zu halten. Oedip hat zwar nicht solche Fehler, daß man sein Unglück eine verdiente Strafe nennen könnte. Er zeigt doch aber seine menschliche Seite allzu sehr, und ist von der vollkommenen Tugend eines Sokrates, eines Cato weit entfernt. Es ist eine Vermischung von Tugenden und Schwachheiten, die einen indivi duellen Charakter ausmacht. Der Charakter der Alceste ist mehr

übermäßige Zärtlichkeit als Tugend; und die Haupthandlung der selben, die Aufopferung für ihren Gemahl, ist vielleicht nach den strengsten Regeln der Vernunft eine zu weit getriebene Zårtlichkeit, eine Schwachheit; aber zu welchen vortrefflichen Situationen hat diese Schwachheit Gelegenheit gegeben!

67ster Brief.

Die Staatskunst hat sich in den neuern Zeiten so weit von der einfältigen Bahn der Weltweisheit verirrt, daß man sie kaum für ein philosophisches Studium mehr erkennen sollte. Jene ungekünstelten Plane der alten Staatskunst scheinen sich so wenig als das arkadische Schäferleben mit unsern jeßigen Umstånden zu vertragen. Und dieses ist viel mehr eine nothwendige Folge der Zeiten, als ein Fehler der Gefeße oder der Gesetzgeber. Lassen Sie einen neu aufkommenden Staat nach den einfältigsten Ge sehen regiert werden, so werden sich in Kurzem seine Verhältnisse mit den benachbarten, und vermittelst dieser mit den übrigen Völkern der Erde vermehren, und seine Bedürfnisse sich verviel fältigen; daraus werden dann neue Geseze entstehen; und so oft diese mit den alten collidiren, werden Ausnahmen und Einschränkungen hinzugethan werden müssen. Zuleht wird das Regierungssystem dieses Volks so verwickelt und in einander laufend feyn, als immer eines von den Systemen, nach welchen die jeßigen Staaten regiert werden. Die Weltweisen werden unzufrieden seyn und sich die erste Einfalt zurück wünschen; allein so vergebens, als man sich zuweilen die unschuldigen Jahre der Kindheit zurück wünscht.

Indessen gehören sowohl die Klagen der Weltweisen als die Verwirrung der Staatskunst mit zum Laufe der besten Welt, und sie sind auch nicht ganz ohne Nußen. Indem sie die Eins bildungskraft mit den angenehmen Bildern einer einfältigen Staatsverfassung beschäftigen, prägen sie den Gemüthern ihrer Mitbürger eine heilsame Liebe zur unschuldigen Natur ein, da durch sie abgehalten werden, dem hinreißenden Strome allzu leicht nachzugeben.

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Diese Gedanken hatte ich, als ich die Schriften eines J. J. Rousseau, die philosophischen Träume" eines Iselin, und verschiedene andere Tractate dieser Art gelesen; und sie wurden lehthin bei mir erneuert, als mir erwähnten Herrn Iselin's Versuch über die Gesezgebung *) zu Gesichte kam. Man fieht mit Vergnügen die inbrünstigen Wünsche eines Menschenfreundes, der, unzufrieden, daß er sie nicht erfüllt sieht, in seiner Einsamkeit die öden Straßen der gefunden Politik", wie er sich in der Vorrede ausdrückt, „durchwandert, auf denen man „die Glückseligkeit der Menschen, und nicht die Größe und den Glanz ihrer Beherrscher sieht".

Ich werde Ihnen von dieser kleinen Schrift wenig zu fagen haben, denn sie enthält wenig neues: ungefähr die allge= meinen Züge eines vollkommenen Gefeßgebers, so wie man fie nach den Grundsägen der Weltweisheit entwerfen würde; Forderungen eines mit den Welthåñdeln unbekannten Weltweisen, deren Beurtheilung man dem Mann in Geschäften überlassen muß. Hr. Iselin hat weder durch Beispiele aus der Geschichte noch durch neue Vorschläge die Möglichkeit seiner Forderungen dargethan, und die meisten tragen offenbar das Zeichen der Unausführlichkeit an der Stirne. Er sagt z. B. (S. 37.): „In„sonderheit aber müssen sie (die Geseße) den Reichthümern den ,,Rang bestimmen, der ihnen gebührt, und denselben nicht erlauben zu den Vortheilen, die sie ohne diß gewähren, noch die Ehre, welche die Belohnung der Tugend und der Verdienste ,,ist, sich zuzueignen. Die Gefeße wären ungerecht und unver,,nünftig, wenn sie den Reichthümern die Bequemlichkeit, das ,,Wolleben und eine große Pracht versagen wollten. Sie find ,,aber zernichtet, wenn der Reiche, nur weil er reich ist, die ,,Achtung und die Ehre auf sich ziehet. Alsdenn ist es um den Staat geschehen“. Die Warnung ist vortrefflich! aber was müssen die Gefeße thun, diesem Mißbrauche vorzubeugen? Können sie den Reichthümern die Bequemlichkeit, das Wohlleben und eine gewisse Pracht nicht versagen; so können sie auch nicht verhindern, daß der Reiche diejenigen Mitbürger an seiner Bequemlichkeit und Pracht Theil nehmen läßt, die ihm zu gefallen

"

*) Versuch über die Gesezgebung, von dem Verfasser der philosophischen Träume. Zürich bey Drell u. Co. 1760.

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